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Jahr: 2024
/ Ausgabe: 2024_05_1_Presse_OCR
- S.14
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Der Standard
„Innsbruck Caprese-Koalition formiert sich“, Seite 6
1.5.2024
Innsbrucks Caprese-Koalition formiert sich
Schon der Wahlabend in Innsbruck gab einen Vorgeschmack darauf, was dort wohl bald kommt: eine Koalition
der Liste von Sieger Johannes Anzengruber mit Grün und Rot, Auch für den Bund gibt es eine Erkenntnis,
che Habitat des bürgerlichen
Innsbruck. Weres nicht schon
wusste, erfährt es spätestens am
Eingang. „Bitte keinen schwarzen
Bürgermeister“, steht da in großen
Lettern. Umd nicht nur dort — damit
es auch der Letzte versteht: Hier, im
Treibhaus, ist nicht der Platz des
konservativen Innsbruck. Nicht für
Schützenvereine und Trachtenjanker. Und nicht für einen schwarzen
Bürgermeister.
Trotzdem gibt es den jetzt. Zumindest quasi, Und wo feiert der
neve, quasi-schwarze Stadtchef seine Wahlkampfparty? Im Treibhaus,
Innsbrucks Subkultur-Institution
schlechthin, Wo seit mehr als vier
Jahrzehnten große Jazzer, heimische Kabarettistinnen und die linksliberale Studentenszene ein und aus
gehen — aber eher nicht das klassische Unterstützermilieu vom in der
Stichwahl am Sonntag zum Stadtchef gewählten Johannes Anzengruber, der bis vor kurzem noch
ÖVP-Mitglied war, Wie also das?
Gefinkelte Idee
„Anzengruber hat mich angerufen und gefragt, ob er hier feiern
kann“, sagt Treibhaus-Leiter Norbert Pleifer dem STANDARD, „Da
habe ich zuerst einmal geschluckt,”
Dann aber sei ihm die Idee gekommen: Er kontaktierte auch die grünen Stichwahlgegner und lud zur
Wahlparty ins$ Treibhaus. „Wer gewinnt, kann oben im Turm feiern.
Wer verliert, muss in den Keller,“
Das Team Anzengruber wollte
aber auch als Wahlsieger lieber das
Untergeschoß, Das ist größer, und
man kann besser tanzen. So kam es,
dass sich am Sonntagabend so
manch älterer Herr in Lodenweste
der Polonaise durch den Keiler der
Kultureinrichtung anschloss, in der
er vorher noch nie war. Denn das
Treibhaus ist zwar mitten im Altstadtzentrum. Aber „manche haben
heute trotzdem Google Maps gebraucht, um herzufinden“, wie es
eine Unterstützerin des unterlegenen Georg Willi formuliert.
Der Grüne verlor am Sonntag
zwar nach sechs Jahren und nur
E s ist nicht gerade das natürlip |
Starteten bei der Wahlparty indirekt die Koaliti Mhandlung
Martin Tschiderer
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der neve Bürgermeister Johannes
Anzengruber (re.), der scheidende Stadtchef Georg Walli von den Grünen und SPÖ-Frontfrau Elisabeth Mayer.
einer Amtszeit am Inn den Bürgermeistersessel. Aber er gewann die
Sicherbeit, dass an dem, was er
schon nach dem ersten Wahlgang
gewollt hatte, kaum noch ein Weg
beiführt: einer „Cap Koalition“ aus Grünen, SPO und Anzengrubers Liste Ja — Jetzt Innsbruck,
Wenn auch mit Anzengruber statt
Willi als Stadtchef, Denn ein paar
simple Rechenspiele in Kombination mit politischen Festlegungen
ergaben schon vor der Bürgermeisterstichwahl: Außer der Kombination Caprese ist nur noch wenig tealistisch. Für die nötige Mehrheit von
2ı der 40 Mandate hätte Anzengruber auch versuchen können, eine
Mitte-rechts-Koalition mit der FPÖ
und Florian Turskys unter dem
Tarınamen Das neue Innsbruck
fungjerender ÖVP-Liste aufzustellen. Deren ı9 Mandate wären aber
um zwei zu wenig. Und die kleine
Liste Fritz, ein Volkspartei-Spin-off
mit zwei Mandaten, hat als Mehrheitsbeschafferin abgewunken,
Der Ende des Vorjahres aus der
ÖVP ausgeschlossene Anzengruber
hatte zwar stets gebetsmilhlenartig
betont, Gespräche mit allen zu führen. Aber den kombinierten Gesetzen von Mathematik und Realpolitik dürfte auch der einstige Hüttenwirt nur schwer entkommen können. Offiziell führt Anzengruber
seit Montag Sondierungsgespräche
mit allen G inderatsfraß
103eN —
unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Erst nach Abschluss der Sondierungen und wenn bis Ende der Woche
eine Entscheidung über konkrete
Koaliti handlı gefallen
ist, werde man dazu kommunizieren, hieß es von der Liste Ja.
Grün-Weiß-Rot tanzt
Das, was sich am Sonntagabend
scheinbar aus dem nichts im Treibhaus zutrug, dürfte ihm dabei nicht
helfen: Anzengruber erklomm gerade die Bühne, um sich von seinen Anhängern als neuer Bürgermeister feiern zu lassen, als Willi
frisch auf Kurzbesuch hineinschneite. Offenbar spontan bestieg auch
der Grünen-Politiker die Bühne —
und mit ihm SPÖ-Frontfrau Elisar
beth Mayr,
Während Anzengruber und seine
Unterstützer kaum wussten, wie ihnen geschah, folgten minutenlange
Reden der politischen Kontrahenten. Dass die Partycrasher in Grün
und Rot bald wieder gingen, spielte
schon keine Rolle mehr: Die Bilder
der möglichen Caprese-Koalitionäre
auf der Bühne von Anzengrubers
Party hatten sich da schon schneller
verbreitet als das Coronavitrus in
einer Ischgier Apres-Ski-Bar. Und
später tanzten die drei im Treibhaus-
Turm auch noch gemeinsam Sirtaki.
Watsche für Regierende
Und was sagt das alles über die
Bundespolitik aus? Zunächst nicht
rasend viel. Ließen sich aus dem ersten Durchgang der Kommunalwahl
noch für ganz Österreich relevante
Trends wie das neuerliche Scheitern
der Neos oder die Etablierung der
KPO herauslesen, ist die Stichwahl
zwischen zwei schr Inn-zentrierten
Kandidaten vor allem eines: ein
Innsbruck-Phänomen, Eine überregionale Erkenntnis bleibt aber doch:
Das Ergebnis ist eine spürbare Watsche für beide Regierungsparteien.
Die Grünen, nach mäßig erfolgreicher Regierungsbeteiligung im
Bund nicht gerade Umfragekaiser,
verlieren ihren ersten und einzigen
Bürgermeister einer Landeshauptstadt. Und das nach nur einer Amtszeit des einst großen Hoffnungsträgers Willi. Das hat in ceinem ohnehin schwierigen Superwahljahr
»
Die wahre Klatsche ist die Entscheidung aber für die ÖVP. Nach
der verbreiteten Unzufriedenheit
mit Willis turbulenter Amtszeit
wäre die Rückeroberung des seit jeher konservativ geprägten Innsbruck fast eine „gmahde Wiesn” gewesen. Jetzt ist tatsächlich wieder
ein Bürgerlicher Stadichel am Inn.
Aber nachdem die ÖVP ihn abgesägt
hat, trägt der Bürgermeister nun
weder ein türkises noch cin schwarzes Maschert. Ein verheerendes Sir
gnal für die kriselnde Volkspartei,
die ein Erfolgserlebnis dringend gebraucht hätte. Kommentar Seite 32
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