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Jahr: 2024
/ Ausgabe: 2024_07_11_Presse_OCR
- S.4
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Tiroler Tageszeitung
„Viel Kritik, etwas Lob und ein Appell ans Theater“, (Leserbrief) Seite 11
Viel Kritik, etwas Lob und
ein Appell ans Theater
Thema: Diskussion über das Mi
nus am Landestheater.
‘ x T ir spielen für alle!“ — So
steht es in großen Lettern auf regenbogenfarbenen
Flaggen am Landestheatervorplatz. Dieses Ziel scheitert
jedoch an der Wirklichkeit.
„Wir sind heimatlos geworden!“, rufe ich dagegen. Wir,
das sind die leidenschaftlichen Opernbesucher, die hier
unvergessliche Theaterabende verbringen durften. Ein
ausgewogenes Programm von
Klassikern wie „Don Giovanni“ oder „Turandot“ bis hin zu
Raritäten wie „Genoveva“ und
„Lakme“ wurde in spannenden und gewagten Regien auf
musikalisch hohem Niveau
gespielt, immer dem Werk und
seiner Botschaft verpflichtet.
Nichts, was dieser Qualität
gleichkam, war in der vergangenen Saison am TLT zu sehen. Dem Saisonauftakt unter dem Motto „Tätää-Tätää“
folgten Aufführungen von „La
Boheme“ und „Figaro“, die einen, ob ihrer bewusst gegen
Werk und Musik gebürsteten
Inszenierungen, ratlos zurückließen und bei Premieren
zu Buh-Chören Anlass gaben.
Die Kulturverantwortlichen
haben diesen Bruch offenbar gewollt. Einer medial kolportierten „3B-Regel - Brav-
Beliebt-Bürgerlich“, die dem
Theaterbetrieb abträglich sei,
sollte der Garaus gemacht
werden. Dies entsprach jedoch in keiner Weise der dort
gelebten Theaterrealität. Gerade verstaubte Opern wie „Genoveva“ wurden - in grandio-
ser Weise ins Bizarre verkehrt
— auf die Bühne gebracht, ihr
musikalischer Reichtum in
atemberaubender Weise zum
Leuchten gebracht.
Besonders schmerzt es,
dass das wunderbare „Große Haus“ - eben mit neuester
Bühnentechnik zukunftsfit gemacht - an vielen Wochenenden dunkel geblieben ist, ein
unfassbarer Zustand. Doch
über die nun angebrochene
„Neue Zeit“ am Theater muss
auch Positives gesagt werden,
viele Produktionen waren engagiert und spannend, Experimentelles hatte wie früher seinen Platz im Spielplan. Allein
auf das Große Haus und wie
es gefüllt werden kann, wurde offenbar vergessen. „Peter
Pan“ mit Wolfgang Mitterers
bewegender Musik war ein
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„Juwel“ der letzten Spielzeit,
hätte aber besser in die Kammerspiele außerhalb traditioneller Abos gepasst. Wie soll es
weitergehen? „Gassenhauer“
und „Rentabilitätsanalysen“
werden es nicht richten, die
Schuld auf das „dumme Publikum“ zu schieben, wie es
ein deutscher Literat einst tat,
wird nicht helfen, weil es nicht
stimmt. „Ohne Publikum kein
Theater“ im Sinne Max Reinhardts spiegelt die Wahrheit
am ehesten wider. Hier muss
angesetzt werden, das kann
nur durch Aufführungen gelingen, die dem Werk nicht
willkürlich ein Konzept überstülpen, sondern das Publikum überzeugen, indem das
Stück ernst genommen wird.
Thomas Gasser, 6020 Innsbruck