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Jahr: 2024
/ Ausgabe: 2024_08_9_Presse_OCR
- S.4
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Gesamter Text dieser Seite:
Tiroler Tageszeitung
„Liebestolle Revolverhelden“, Seite 12
Liebestolle Revolverhelden
Feine Musik, fade Regie: Die wiederentdeckte Barock-Oper „Cesare in Egitto“ bietet zum Start der
Innsbrucker Festwochen Bravour-Arien ohne Unterlass. Szenisch tut sich auf der Bühne aber herzlich wenig.
Von Markus Schramek
Innsbruck — 3,5 Stunden lang
(dringend nötige Verschnaufpause inklusive) wollen sich
die Figuren dieses Musiktheaters, je nach Hormonspiegel,
an die Wäsche oder an den
Kragen gehen. Mit „Cesare
in Egitto“, einer verschollen
geglaubten 300 Jahre alten
Barock-Oper von Geminiano Giacomelli, wurden Mittwochabend im Tiroler Landestheater die 48. Innsbrucker
Festwochen der Alten Musik
vor vollem Haus eröffnet.
Handlungsfaden gesucht
Die Ankunft von Titelheld Cäsar in Ägypten löst das reinste
Chaos aus. Hastig geschmiedete Allianzen - wer gegen
wen? — sind derart kurzlebig, dass selbst bemühte und
hellwache Premierengäste
kapitulieren: Handlungsfaden verloren! Es reicht aber
zu wissen, dass die Männer
allesamt bis an die Zähne bewaffnet sind (Maschinengewehre, Pistolen, Messer!) und
bis über beide Ohren verliebt.
Eine gefährliche Mischung.
Cäsar verschaut sich in
die herrschsüchtige, schöne
Cleopatra, die ihrerseits vom
ägyptischen Krieger Achilla begehrt wird. Römerin
Cornelia, sie hat eben ihren
Gemahl Pompeo auf grausame Weise verloren (Rübe
ab und in eine Geschenkbox
verpackt), wird ebenfalls von
zwei Männern ziemlich desperat der Hof gemacht.
Da wird es auch völkerrechtlich kompliziert: Römer
Lepido und Ägypter Tolomeo (= Cleopatras ebenfalls
machtbesessener Bruder)
schmachten Cornelia an. Total vergeblich übrigens.
Kommen wir lieber zur Musik. Die ist von wundervoller
Viel Gefuchtel mit gezückten Waffen. Arianna Vendittelli (Cäsar) lässt Filippo Mineccia (Achilla) in den Lauf einer Pistole blicken.
Pracht und Anmutung. Der
neue Festwochenchef Ottavio Dantone dirigiert sein
nach Innsbruck mitgebrachtes Orchester, die Accademia
Bizantina. Im Graben ist also
alles bestens: fein-harmonische alte Musik aus historischen Instrumenten, dosiert,
bunt und schwungvoll, die
perfekte Begleitung.
Bedauerlicherweise ist Regisseur Leo Muscato aber
herzlich wenig eingefallen,
um die musikalische Steilvorlage szenisch mit Leben
zu erfüllen. Auf der Bühne
lautet das Motto: tatenlos herumstehen und ergriffen lauschen. Wer nicht gerade eine
der gemeingefährlich schwierigen Arien zu bewältigen hat,
steht, sitzt, lehnt oder lungert
sonst irgendwie herum.
Statisch wirkt das und zunehmend fad. Das Bühnenbild (Andrea Belli) verstärkt
diesen Eindruck noch weiter.
Riesige Statuen von Soldaten
(oder sind es antike Nussknacker in Übergröße) klotzen
drohend im Hintergrund.
Vorne verstellen Gesteinsblöcke den Weg. Auf ihnen prangen mutmaßliche Hieroglyphen. Richtig! Wir befinden
uns ja in Ägypten.
Besetzung von hoher Güte
An der Besetzung gibt es
nichts auszusetzen: Top-
Personal. Arianna Vendittelli
bringt in der Hosenrolle als
Cäsar ihren Sopran ergreifend schön zum Einsatz.
Mezzo Emöke Baräth als
Cleopatra zeigt sich stimmlich in Fahrt und modisch
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Foto: Birgit Gufler/Festwochen
flexibel: Elegant, im Grace-
Kelly-Style, bezirzt sie Cäsar. In Marienblau gehüllt,
gibt sie später die Unschuld
vom (ägyptischen) Land. Altistin Margherita Maria Sala
als Cornelia, die Witwe des
ermordeten Cäsar-Widersachers Pompeo, bemüht sich
mit Erfolg, nicht nur großartig zu singen, sondern ihren
Hass auf Cäsar und Co. auch
schauspielerisch wiederzugeben. Sie speit Gift und Galle.
Die Männer sind Möchtegern-Machos, liebestolle Re-
Weitere Szenen aus der Fest-
volverhelden. In den Counter-Partien des Lepido und
des Achilla schlagen sich Federico Fiorio (noch dazu in
der Sopranlage) und Filippo
Mineccia ganz ausgezeichnet. Auch Tenor Valerio Contaldo als Tolomeo würde den
widerspenstigen Damen gerne diktieren, was Sache ist.
Doch es verhält sich genau
umgekehrt. Immerhin hier
ergeben sich Ähnlichkeiten
mit dem richtigen Leben.
Gnädiges Publikum
Eine Bravour-Arie folgt auf
die nächste. Deren Klang und
Aufbau wiederholen sich, und
der Abend zieht sich. Das Premierenpublikum aber erweist
sich als ausdauernd und gnädig: Es klatscht brav nach jeder Gesangseinlage.
Der Schlussapplaus fällt
höflich aus. Bei den Verbeugungen der SängerInnen, des
Orchesters und von Dirigent
Dantone steigt der Lärmpegel aber doch deutlich. An
der musikalischen und sängerischen Performance liegt
der sehr durchwachsene Gesamteindruck dieser Aufführung auch wirklich nicht.
Cesare in Egitto. Zwei weitere
Aufführungen (Tiroler Landestheater, Großes Haus) am 9. und
11. August. Info: altemusik.at