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Jahr: 2022

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Tiroler Tageszeitung

„Raus aus der Vergessenheit“, Seite 6

Raus aus der Vergessenheit

Landtag startet heute Prozess zur „würdigen Umgestaltung“ der Gedenkstätte für ehemaliges
Gestapo-Lager Reichenau in Innsbruck. Matthias Breit fordert begleitendes Gedenkprogramm.

Von Peter Nindler

Innsbruck - Im Gestapo-Lager in der Reichenau wurde
zwischen 1941 und 1945 gefoltert, gemordet und hingerichtet. Häftlinge starben an
Misshandlungen und an den
Folgen der unmenschlichen
Arbeit. Das Lager hatte viele hässliche Gesichter: Es war
Auffanglager für italienische
Zwangsarbeiter, „Arbeitserziehungslager“, Durchgangslager für Juden, Außenlager des
Konzentrationslagers Dachau
und jedenfalls Teil des NS-
Terrorapparates. Insgesamt
hat die Gestapo dort rund
8500 Menschen inhaftiert, von
denen etwa 130 starben oder
ermordet wurden.

Am Rande des Innsbrucker
Recyclinghofs erinnert seit
1972 ein Gedenkstein an das
1941 errichtete Lager, er befindet sich jedoch nicht am eigentlichen Standort des Schreckens. Schon seit Jahren gibt es
Kritik an dieser alles andere als
zeitgemäßen und angemessenen Erinnerung. „Das Gedenken an das Lager Reichenau
ist in der bestehenden Form
unwürdig und auch wenig
lehrreich gestaltet“, heißt es in
einem Antrag von Grünen und
ÖVP, der heute im Landtag
behandelt wird. Die schwarzgrüne Landesregierung wird
ersucht, sich gemeinsam mit
der Stadt Innsbruck und Vertreterinnen und Vertretern
der Opferverbände sowie mit
Historikerinnen und Historikern an einem Prozess für eine würdige Umgestaltung der
Gedenkstätte des Lagers Reichenau zu beteiligen.

In der zu Ende gehenden
Regierungsperiode soll dieses
Vorhaben noch einmal den
Stellenwert der Erinnerungs-

Versteckt und am Rand des Recyclinghofs: der Gedenkstein für die Opfer des Lagers Reichenau.

kultur im Land bekräftigen.
„Das Gedenken an die Opfer des NS-Lagers Reichenau

‚ Es benötigt eine
gute Begleitung
mit einem Gedenkprogramm. Eine Gedenkstätte ist zu wenig.“

Matthias Breit
(Museumsleiter Absam)

wurde über viele Jahre von der
öffentlichen Hand stiefmütterlich behandelt. Im Landtag haben wir Initiativen zur
Aufarbeitung und Gedenkkultur gesetzt, beispielsweise
zum ehemaligen NS-Gauhaus
oder zum Gedenken an den
Wehrmachtsdeserteur und
Landtagsabgeordneten Franz

..

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Weber“, betont der grüne
Klubchef Gebi Mair. Der Gedenkort sei bisher wirklich
unwürdig — nicht am richtigen Platz und kein Lernort.
„Gemeinsam mit der Stadt
Innsbruck und HistorikerInnen soll hier eine Möglichkeit
zum Gedenken und Lernen
geschaffen werden.“

Der Leiter des Gemeindemuseums Absam, Matthias
Breit, setzt sich schon seit Jahren für ein würdevolles Gedenken an die Opfer im Lager
Reichenau ein. Er verweist auf
die von Anita Lasker-Wallfisch
forcierte Idee eines Gartens der
Erinnerung. Die 1925 in Breslau geborene Lasker-Wallfisch
ist eine der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz-Birkenau

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Foto: Domanig

und besuchte 2014 Innsbruck.
„Für mich ist das prägend, weil
der Vorschlag von jemandem

‚ Der Gedenkort

ist bisher wirklich
unwürdig - nicht am
richtigen Platz und kein
Lernort.“

Gebi Mair/Grüne
(Klubchef)

kommt, der das Grauen selbst
miterlebt hat“, sagt der Absamer gegenüber der TT.

Breit spricht sich dafür aus,
die Gedenkstätte an einen belebten Ort zu verlegen, etwa an
das Innufer, wo die Menschen
sie auch täglich sehen und besuchen könnten. „Das sollte
Sinn und Zweck sein.“ Doch

alleine mit einer Gedenkstätte
ist es für den Absamer Museumsleiter nicht getan. „Es benötigt eine gute Begleitung mit
einem Gedenkprogramm.“
Um etwas ins Bewusstsein zu
rufen, sei ein Denk- oder Erinnerungsmal zu wenig. Das
Land Tirol müsste für regelmäßige Veranstaltungen ein
Budget bereitstellen und so
das Erinnern und Gedenken
an die Gräuel der NS-Zeit in
den Mittelpunkt rücken, regt
Breit an. Für ihn gäbe es dazu
genügend Gelegenheiten, angefangen beim Holocaust-Gedenktag am 27. Jänner. Denn
Erinnerungskultur dürfe nicht
nur in Stein gemeißelt sein.

Für Akzente aktiver Erinnerungskultur und wegen der
Debatte um die so genannten
Stolpersteine im Gedenken an
ermordete und vertriebene Juden hat der Kulturausschuss
der Stadt Innsbruck sich 2020
dazu entschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Die
Landesregierung soll sich jetzt
u.a. mit ihr vernetzen, damit
die neue Gedenkstätte für das
Lager Reichenau rasch umgesetzt werden kann. Für Matthias Breit sollten auch internationale Zeichen nicht vergessen
werden, schließlich seien im
Lager Reichenau Menschen
aus vielen Nationen inhaftiert
gewesen.

Der Schwerpunkt Erinnerungskultur des Landes umfasst die Aufarbeitung der
Volkskultur, des Schützenwesens oder der Geschichte des
Landhauses (ehemaliges Gauhaus). Dazu kommt aktuell die
Auseinandersetzung mit dem
Themenkomplex „Deserteure der Wehrmacht. Verweigerungsformen, Verfolgung,
Solidarität, Vergangenheitspolitik in Tirol“.