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Jahr: 2022
/ Ausgabe: 2022_10_24_Presse_OCR
- S.5
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Tiroler Tageszeitung
„Ein Haus für die Unbehausten“, Seite 17
Ein Haus für die Unbehausten
58 Betten, 22.000 Nächtigungen pro Jahr: Das Alexihaus, eine wichtige Einrichtung der Wohnungslosenhilfe in
Innsbruck, begeht morgen sein 30-jähriges Bestehen. Die brisante Lage am Wohnungsmarkt bereitet Sorgen.
Von Michael Domanig
Innsbruck - Wenn das „Alexihaus“ morgen Dienstag mit
einem offiziellen Festakt sein
30-jähriges Bestehen begeht,
ist das eigentlich kein Grund
zum Feiern: Denn der runde
Geburtstag zeigt vor allem,
dass diese zentrale Einrichtung der Wohnungslosenhilfe
in Innsbruck dringender benötigt wird denn je.
1992 war im ehemaligen
Kolpinghaus in der Dreiheiligenstraße eine Winternotschlafstelle eingerichtet worden. Was anfangs bloß für
sechs Monate gedacht war,
wurde 1994 zur ganzjährigen
Notschlafstelle ausgebaut.
Seit 2003 ist das Alexihaus (der
Name leitet sich übrigens vom
hl. Alexius ab, Fürsprecher der
Obdachlosen und einer von
Innsbrucks Stadtpatronen)
ein Teilbereich der Innsbrucker Sozialen Dienste (ISD).
2021 verzeichnete die Notschlafstelle ca. 22.000 Nächtigungen, 2016 lag der traurige
Rekord bei 23.283.
„Von den Anfragen her sind
wir durchgehend voll, nur in
der Corona-Zeit waren es weniger“, berichtet Daren Ranalter. Er leitet die zwischen
Bögen und Jugendzentrum
Z6 gelegene Einrichtung seit
2019. Die Notschlafstelle bietet in Ein-, Zwei- und Dreibettzimmern 58 Betten für
wohnungslose Männer. Dabei
gilt: Raus kann man immer,
rein täglich bis 23 Uhr. Frühstück gibt es kostenlos, warmes Mittagessen um 2,50 Euro, auch eine Wäscherei steht
zur Verfügung.
„Wir versuchen, in allen
möglichen Problemlagen zu
unterstützen“, umreißt Ranal-
‚ Treten mehrere
Probleme gleichzeitig ein, ist man rascher
in Wohnungsnot, als
man schauen kann.“
Daren Ranalter
(Leiter Alexihaus)
ter das weitere Angebot. Zum
24-köpfigen Team zählen drei
SozialarbeiterInnen, ebenso
gibt es ein ambulantes Angebot des Psychosozialen Pflegedienstes oder eines psychiatrischen Konsiliararztes. Auch
bei der Wohnungssuche hilft
man nach Kräften - ein Ziel ist
nämlich, dass die Notlösung
keine Dauerlösung wird.
Wobei die Vorgeschichten der Klienten „extrem heterogen“ seien, wie Ranal-
ter betont — Arbeitslosigkeit,
Suchterkrankungen, oft in
Kombination mit psychischen
oder körperlichen Erkrankungen und gescheiterten Beziehungen. „Wenn man eh schon
prekär unterwegs ist, kann
man vielleicht eines dieser
Probleme abfedern. Passieren
aber zwei oder drei Sachen
gleichzeitig, ist man schneller
in der Wohnungsnot drin, als
man schauen kann.“
Auch die Bandbreite, wie
lange Männer im Alexihaus
bleiben, ist daher enorm: Im
3. Stock gibt es Kleingarconnieren für Klienten, die arbeiten.
„Ihnen fehlt eigentlich nur der
Zugang zu einer Wohnung,
um normal leben zu können.“
Anerkannte Flüchtlinge würden es - trotz aller Schwierig-
Wohnungslosenhilfe
Alexihaus
z
z
n
keiten — teils relativ schnell allein schaffen, bei psychischen
oder Suchterkrankungen sei
das etwas anderes. Therapien dauern (sofern die Erkrankung überhaupt diagnostiziert
bzw. bewusst ist) oft viele Jahre, Rückfälle inklusive. Dazu kommen noch betagtere
Langzeitbewohner.
Zum Aufenthalt berechtigt
sind Wohnungslose mit Anspruch auf Mindestsicherung.
Jenen Menschen ohne Obdach, die auch das nicht vorweisen können, hilft man bei
der Abklärung oder vermittelt
sie direkt zur Notschlafstelle
der Tiroler Sozialen Dienste
am Schusterbergweg.
Ans Alexihaus grenzt ein
angemieteter Viaduktbogen
an: Er wird zur Freizeitgestal-
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tung genutzt, im Gegensatz
zum Haus selbst ist hier aber
auch der Konsum niederprozentiger Getränke (Bier,
Wein) erlaubt. „Sonst sind
wir laufend mit Verwaltungsstrafen beschäftigt, die unsere
Klienten ohnehin nicht zahlen
können“, sagt Ranalter. Denn
wer im öffentlichen Raum
dem drängenden Suchtdruck
nachgibt, ist aufgrund der gel-
tenden Alkoholverbote rasch
mit Strafe bedroht. „Alkohol
lässt sich aus der Stadt verdrängen, Alkoholismus aber
nicht einfach verbieten.“
Die aktuelle Teuerungsund Energiekrise werde bei
den sozialen Einrichtungen mit Verspätung zusätzlich spürbar (werden), meint
Ranalter. Vor allem aber gelte:
„Das Angebot am Innsbrucker
Wohnungsmarkt ist nicht besser, zugänglicher oder leistbarer geworden. Wenn schon
der Mittelstand Probleme hat,
wie schaut es dann erst mit
unseren Klienten aus?“ Zwar
seien die Angebote im Bereich
Wohnungslosenhilfe seit 1992
deutlich ausgebaut worden
— doch das deute zugleich ja
auch auf den ebenfalls gestiegenen Bedarf hin.
Ranalter plädiert daher für
veränderte Zugänge, konkret
den Ausbau des „Housing
first“-Prinzips: „Dabei steht
am Anfang der Lösung eigener Wohnraum. Davon ausgehend sollen, natürlich mit bedarfsgerechter Betreuung und
Unterstützung, alle weiteren
Probleme angegangen werden.“ Aktuell sei es meist umgekehrt: Um eine Wohnung
zu bekommen, müsste man
zuerst einen Job finden bzw.
gesund werden. „Damit sind
viele Gruppen von vornherein
ausgeschlossen.“