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Jahr: 2025
/ Ausgabe: 2025_05_9_Presse_OCR
- S.6
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Tiroler Tageszeitung
„Auftakt zu würdigem Gedenken“, Seite 5
Auftakt zu würdigem Gedenken
Exakt 80 Jahre nach Kriegsende in Europa startet in Innsbruck die Errichtung des „Gedenkortes Reichenau“:
Ziel sind eine zeitgemäße Erinnerung an den NS-Lagerkomplex - und Sensibilisierung für die Demokratie.
Von Michael Domanig
Innsbruck — Es war ein bewegender Festakt an einem denkbar symbolträchtigen Datum:
Mit der Enthüllung der ersten
Gedenksteine begann gestern
— exakt 80 Jahre nach Kriegsende in Europa am 8. Mai 1945
— die Umsetzung des neuen
Gedenkortes für alle Opfer des
NS-Lagerkomplexes Reichenau. Stadt Innsbruck und Land
Tirol hatten gemeinsam zur
Veranstaltung geladen.
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‚ Meine Eltern haben
erkannt, wie wichtig es ist, die Erinnerung
an das Geschehene immer weiterzugeben.“
Jeffrey Wisnicki (Sohn von
Holocaust-UÜberlebenden)
Die neue Gedenkstätte, die
an 114 namentlich bekannte Todesopfer und mehr als
8500 inhaftierte Menschen
erinnert, entsteht in unmittelbarer Nähe des einstigen
Lagerkomplexes, auf einem
Grünstreifen an der Innpromenade Richtung Baggersee.
Namen statt Nummern
Die Umsetzung des Siegerprojekts der ARGE Bablick-
Denzer-Machat-Schlorhaufer-Zschiegner erfolgt in zwei
Phasen (was in der Stadtpolitik, wie berichtet, für Kontroversen sorgte): In Phase eins
werden 114 individuell gestaltete „Namenssteine“ errichtet, wobei sich die Anordnung
am Gelände am Todesdatum
der Opfer orientiert. Tausende kleine Bodenelemente,
wellenförmig angeordnet,
veranschaulichen die Zahl
der Gefangenen. Hinzu kommen ein Audioweg und eine
umfangreiche Website.
Der Info-Pavillon mit Displays, Sitzgelegenheiten und
Wetterschutz entsteht hingegen erst in der zweiten Projektphase ab 2026. Spätestens
zum Holocaust-Gedenktag
am 27. Jänner 2027 soll laut
Kulturreferent Georg Willi das
komplette 1,3-Mio.-Euro-Projekt fertiggestellt sein.
Beim Festakt wurden — vor
114 weißen Rosen - die ersten
drei Prototypen der „Namenssteine“ enthüllt, darunter jener für Jakob Justman(n): Der
Das Lager Reichenau - hier auf einem Bild nach dem Kfieg - hatte
während der NS-Diktatur verschiedenste Funktionen. Foto: D
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polnische Jude wurde am 25.
April 1944 mit 49 Jahren im
Lager Reichenau ermordet.
Seine Tochter Leokadia (1922-
2002) überlebte den Holocaust
in Tirol und Salzburg, ihr eindrucksvolles Erinnerungsbuch
ist unter dem Titel „Brechen
EaUNEN S
wir aus!“ heuer erstmals auf
Deutsch erschienen.
Leokadias Sohn Jeffrey Wisnicki reiste mit Gattin Rebecca eigens aus den USA an.
Sein Vater Jözef Wisnicki war
in den letzten Kriegswochen
ebenfalls im Lager Reichenau
Der NS-Lagerkomplex Reichenau
Von 1941 bis 1945 wurden
im Lager Reichenau über 8500
Menschen gefangen gehalten.
Nach aktuellem Forschungsstand
sind Namen und biographische
Daten von 114 Todesopfern aus
15 Ländern bekannt. Zunächst
als „Arbeitserziehungslager“ für
in- und ausländische Zwangsarbeiter eingerichtet, wurden
im Lager Reichenau später
auch politische Gefangene und
italienische Arbeiter festgehalten,
ebenso Jüdinnen und Juden, die
von Innsbruck aus in Konzentrationslager deportiert wurden.
Bisher erinnerte nur ein 1972
errichteter, inhaltlich inkorrekter
Gedenkstein neben der Einfahrt
zum städtischen Recyclinghof
an das NS-Lager. Am neuen
Standort soll nun - endlich - ein
würdiges Gedenken möglich sein.
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Insgesamt 114 „Namenssteine“ aus Beton und Glasterrazzo entstehen bis 2026 am neuen Gedenkort. Gestern wurden die ersten drei Prototypen enthüllt - darunter jener für Jakob Justman(n). Der überdachte Info-Pavillon (r. o.) folgt erst in der zweiten Projektphase.
eingesperrt. Auch Herbert
Wernig, Neffe der Ehefrau von
Egon Dubsky, der im Juni 1943
im Lager erschossen wurde,
wohnte dem Festakt bei.
„Meine Eltern haben erkannt, wie wichtig es ist, die
Erinnerung an das, was geschehen ist, von Generation zu
Generation weiterzugeben“,
sagt Wisnicki. „Es ist emotional sehr befriedigend und eine große Ehre, dass jetzt ein
Denkmal entsteht, das meinen Großvater - den ich nie
kennen gelernt habe, von dessen Mut und Aufopferungsbereitschaft man mir aber stets
erzählt hat — würdigt, ebenso
wie viele andere Menschen.“
Auf diesen Tag habe die
Stadt vier Jahre hingearbeitet, betonte Kulturamtsleiterin Isabelle Brandauer: 2021
war eine Kommission aus
A
Foto: Liebl; Visualisierungen: Martin Perktold
PolitikerInnen und ExpertInnen eingerichtet worden, um
neue Wege in der Erinnerung
an den Lagerkomplex zu eröffnen. Federführend waren
Uschi Schwarzl und Irene
Heisz. Die Basis für den Prozess bildete intensive historische Forschung zum Lager,
etwa durch Sabine Pitscheider
und Horst Schreiber.
Landeshauptmann Anton
Mattle, Bürgermeister Johannes Anzengruber und Vizebürgermeister Georg Willi unterstrichen in emotionalen Reden
die Notwendigkeit, aus der Geschichte der NS-Diktatur für
das (demokratische) Heute zu
lernen und junge Menschen
zu sensibilisieren. Mattle zitierte den Holocaustüberlebenden Primo Levi: „Es ist geschehen, und folglich kann es
wieder geschehen.“