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Jahr: 2025
/ Ausgabe: 2025_01_13_Presse_OCR
- S.4
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Tiroler Tageszeitung
„Gaismair, Hofer und die Lücken der Gedenkkultur“, Seite 2
Kommentar
Gaismair, Hofer und die
Lücken der Gedenkkultur
Von Michael Domanig
ergleicht man es mit dem durch-
" / aus kostspieligen Maximilianjahr
2019 - bei dem Kaiser Max als
„Tiroler im Herzen und Europäer im
Geiste“ positioniert wurde, während
seine vielen teuren Kriege eher unterbelichtet blieben —, ist es heuer bislang auffallend ruhig in Sachen Gedenkjahr: Wie
das offizielle Tirol die Erinnerung an „500
Jahre Tiroler Bauernaufstand 1525“ und
dessen mit Abstand bekanntesten Protagonisten Michael Gaismair zu begehen
gedenkt, wurde noch nicht verlautbart.
Dabei besteht, wie der Tiroler His-
toriker Robert Rebitsch in seinem
umfassenden neuen Werk zu den
Aufständen deutlich macht, in Sachen
Erinnerungskultur definitiv Aufholbedarf: Abgesehen von drei nach Gaismair
benannten Straßen in Innsbruck, Telfs
und Wörgl (oder den Fresken der
Europakapelle in Schönberg)
/ Lesen Sie dazu mehr
auf Seite 17
findet man im öffentlichen Tiroler Raum
praktisch nichts zur nachhaltig prägenden Zeit der Bauernkriege. Nicht nur
im Vergleich zum noch immer omnipräsenten Andreas Hofer fristet Gaismair ein Schattendasein. Woran liegt’s?
Der fromme Katholik Hofer, der gegen
„Fremdbesatzung“ kämpfte, ist trotz
aller Schattenseiten noch immer die
bequemere Projektionsfigur als ein dem
Protestantismus zuneigender Sozialrebell wie Gaismair, der sich gegen den
eigenen Landesherrn stellte.
Ideologisch instrumentalisiert und
vereinnahmt wurde freilich auch Gaismair: von den Nazis, die ihn als Kämpfer
für den „deutschen Boden“ einspannten
(und sein Auftreten gegen den beinharten Finanzsanierer Graf Salamanca
antisemitisch ausschlachteten), bis zu
marxistischen Historikern in der DDR,
die Gaismair als Repräsentanten der
„Frühbürgerlichen Revolution“ feierten.
Vor diesem Hintergrund könnte das
Gedenkjahr 2025 einiges anstoßen, konkret eine breite, objektive und kritische
Auseinandersetzung mit dem Bauernaufstand und Gaismair - in Gesellschaft
und Wissenschaft, frei von ideologischen
Scheuklappen. Man darf gespannt sein.
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