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Jahr: 2024
/ Ausgabe: 2024_04_29_Presse_OCR
- S.26
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Kurier
BÜRGERMEISTER-STICHWAHL INNSBRUCK
Johannes Anzengruber
P
59,6 %
„Aus dem Abseits auf den Bürgermeister-Sessel“, Seite 3
Georg Willi
Aus dem Abseits auf den Bürgermeister-Sessel
Stichwahl. Der von der ÖVP abgespaltene Johannes Anzengruber hat sich klar gegen den Amtsinhaber
VON CHRISTIAN WILLIM
Georg Willi, erster grüner Bürgermeister einer Landeshauptstadt, hatte im Vorfeld der
Stichwahl gegen _seinen
bürgerlichen Herausforderer
Johannes Anzengruber (JA —
Jetzt Innsbruck) damit gerechnet, dass es „arschknapp“
wird. Davon konnte am Sonntagabend nach Auszählung aller Stimmen keine Rede sein.
Der von der ÖVP ins Abseits beförderte Anzengruber
feierte einen Triumph. Das Ergebnis — 59,6 zu 40,4 Prozent
— sei „überwältigend“. Beim
nach einer Amtsperiode als
Bürgermeister abgewählten
Georg Willi bedankte sich der
neue Stadtchef für einen „fairen und vor allem sachlichen
Wahlkampf“. Der Grüne, in
den vergangenen Jahren ein
wichtiges Aushängeschild für
seine Partei über Innsbruck
hinaus, zollte seinem Kontrahenten Respekt und hofft auf
gute Zusammenarbeit.
Willi will bleiben
Er selbst will trotz der krachenden Niederlage in Regierungsfunktion bleiben „und
Vize-Bürgermeister sein“. Willibetonte, dass die Grünen vor
zwei Wochen zur stärksten
Kraft gewählt wurden. Anzengruber kündigte an, am Montag Gespräche zur Bildung
einer Koalition zu starten, beginnend mit den Grünen.
Johannes Anzengruber
hat sich durchgebissen. Und
seine Wähler sich mit ihm. An
sie haben der ehemalige Almwirt und seine Unterstützer in
den vergangenen Wochen
Tausende Kaspressknödel und
andere kulinarische Wahlkampfgeschenke verteilt.
Das Motto dahinter: „Beim
Essen und Reden kommen die
Leute zusammen.“ Zählen
konnte Anzengruber dabei
unter anderem auf helfende
Hände seiner Familie, bekann-
Georg Willi durchgesetzt. Damit verlieren die Grünen ihren wichtigsten Stadtchef
„Es war ein
phänomenaler
Wahlkampf in den
letzten Monaten.
Es war beinhart.“
Johannes Anzengruber
„JA - Jetzt Innsbruck“
ter Wirte oder Mitgliedern von
Sport- und Traditionsvereinen
— allesamt Multiplikatoren
beim Stimmenfang.
Dem von der ÖVP geschassten Politiker ist es damit
gelungen, eine breite Bewegung auf die Beine zu stellen.
Und schließlich mit seiner Liste nicht nur aus dem Stand
Platz zwei bei der Gemeinderatswahl zu erringen, sondern
am Sonntag auch noch das
Bürgermeisteramt zu erobern.
Damit hat Innsbruck wie in
den Jahrzehnten vor Willis
SITZE IM GEMEINDERAT
(Veränderung gegenüber Wahl 2018)
FPÖ 7 (-1)
SPÖ 6 (+2)
JA 8 (neu)
Grüne 8 (-2)
40
FRITZ 2 (+1)
A Grafik: Eber, Quelle: Stadt Innsbruck
Wahlsieg wieder ein bürgerliches Stadtoberhaupt — allerdings ohne OVP-Label.
Fehlkalkulation
Die Geschichte des Erfolgs von
Anzengruber ist auch die einer
kolossalen Fehleinschätzung
der Landes-ÖVP. Die hatte vor
allem die Wiedervereinigung
mit der vor 30 Jahren entstandenen Abspaltung „Für Innsbruck“ im _Fokus. Deren
Hauptprotagonistin Christine
Oppitz-Plörer, die 2018 das
Bürgermeisteramt an Georg
„Vor sechs Jahren hatte
ich das Glück und das
Momentum. Dieses Mal
er. Ich hoffe, wir arbeiten
gut zusammen.“
Georg Willi
Grüne
Willi (Grüne) verlor, stand jedoch mit Anzengruber auf
Kriegsfuß. Gemeinsam mit
dem inzwischen von Ex-
Staatssekretär Florian Tursky
als ÖVP-Stadtparteiobmann
ersetzten Christoph Appler
hatte sie an der Verschmelzung beider Listen — inklusive
Seniorenbund — gearbeitet.
Appler wiederum hat seine
eigene Geschichte mit Anzengruber. Der damalige Stadtparteiobmann wurde 2020
mit einer vom nunmehrigen
Bürgermeister angezettelten
VON CHRISTIAN WILLIM
Ein Ende von Streit und
Blockade. Dieses Ziel habensich Politiker aller Couleur im Innsbrucker Gemeinderatswahlkampf auf die Fahnen
geheftet. Auch jene, die kräftigenAnteilam Chaosdervergangenen Jahre hatten. Nun liegt es
am bürgerlichen Johannes Anzengruber, die Stadt als neuer
Bürgermeister wieder in ruhiges Fahrwasser zu führen.
Einfach wird dasnicht, auch
wenn mit der am wahrscheinlichsten Koalitionsvariante aus
Anzengrubers JA, den Grünen
und der SPO eine Option am
Tisch liegt, die mit „nur“ drei
Partnern Stabilität verheißt.
Dass eine Mehrheit mit 22 von
40 Sitzen im Gemeinderat - also
nur zwei Mandaten Überhang —
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in Innsbruck schon als stabil
wahrgenommen wird, zeugt
von der Zerrissenheit der Gemeindepolitik in der vergangenen Regierungsperiode.
Ein Hürdenlauf
Eine dieses Mal neu eingezogene Vier-Prozent-Hürde — auf
kommunaler Ebene abseits der
Bundeshauptstadt Wien einzigartig-hat zumindestdie Listenvielfalt im Stadtparlament eingegrenzt. Acht Gruppierungen
sind immerhin zwei weniger als
noch 2018. Was sich in den vergangenen sechs Jahren aber
ebenfalls gezeigt hat: Es kann
jederzeit rasch noch unübersichtlicher werden.
Vier der fünf im Nationalrat
vertretenen Parteien hatten
sich im Innsbrucker Gemeinderat gespalten: FPO, ÖVP, Grüne
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Der Wunschtraum von Stabilität
und SPÖ. Die Neos zwar nicht,
sie haben es am 14. April dafür
abernicht einmal mehr überdie
Vier-Prozent-Hürde geschafft,
wurden abgewählt.
Sollte sich das Klima in der
Stadtpolitik nicht insgesamt
verbessern, können aus heutiger Sicht vermeintlich sichere
Mehrheiten schnell passe sein.
Hier wird Anzengruber auch
beweisen müssen, dass er seine
eigene Liste im Griff hat.
Immerhinpochterselbstdarauf, dass er nun parteifrei, unabhängig und von Klubzwängen befreit ist. Nehmen seine
Mitstreiter das für sich ebenfalls
inAnspruch, könnte es bei kontroversen Themen auch innerhalb Anzengrubers Teams noch
spannend werden.
christian.willim@kurier.at
Klubreval b
das ÖVP-Vizebürgermeister-
Amt vakant wurde.
Genau diese Geschichte
hätte der ÖVP ein Warnsignal
sein können, dass Anzengruber keiner ist, der klein beigibt.
Nicht das einzige Indiz. Bereits
2018 schaffte es Anzengruber
nur in den Gemeinderat, weil
er mit einem ambitionierten
Wahlkampf zum Vorzugsstimmen-Kaiser der ÖVP wurde.
Risikofreudig
Sein erfolgreicher Kampf um
das Vize-Bürgermeisteramt
zeigte wiederum bereits, welches persönliche Risiko der
ehemalige Ringer bereit ist,
für den Aufstieg auf der Karriereleiter zu nehmen. Mit
Ressortverantwortung war es
nicht mehr vereinbar, dass
Anzengruber die seit vielen
Jahren durch seine Familie
von der Stadt gepachtete Arzler Alm weiter betreibt. Also
wurde sie aufgegeben.
Nachdem im Vorjahr klar
wurde, dass das ÖVP-Bündnis
von Tursky in die Wahl geführt werden sollte, ging Anzengruber erneut Risiko. Für
seinen kulinarischen Wahlkampf nahm er einen Kredit
in der Höhe von 250.000
Euro auf. Mit Ankündigung
seines Antritts bei der Gemeinderatswahl mit eigener
Liste flog er aus der ÖVP und
wurde auf deren Betreiben
als Vize-Stadtchef abgewählt.
Fortan gerierte Anzengruber
sich als nunmehr parteifrei
und unabhängig.
Nun liegt es an ihm, eine
stabile Koalition zu bilden.
Am wahrscheinlichsten bleibt
vorerst weiterhin eine Mitte-
Links-Variante aus Anzengrubers „Ja — Jetzt Innsbruck“,
den Grünen mit Georg Willi
und der SPO von Elli Mayr.
Dieses Bündnis hätte 22 von
40 Mandaten und auch eine
Mehrheit im nach Proporz besetzten Stadtsenat.
APAJEXPA/JOHANN GRODER