Pressespiegel seit 2021
Jahr: 2022
/ Ausgabe: 2022_11_28_Presse_OCR
- S.4
Suchen und Blättern in über 500 PDFs und 44.000 Seiten.
Gesamter Text dieser Seite:
Tiroler Tageszeitung
„Krise bringt Aufruhr ins Streik-Zwergenland“, Seite 2
Analyse
Krise bringt Aufruhr ins
Streik-Zwergenland
Von Max Strozzi
je seit dem Kriegsausbruch in der
D Ukraine galoppierende Inflation
stellt auch die Sozialpartnerschaft,
die sich seit jeher als vorbildhaft für den
Rest der Welt betrachtet, auf eine harte
Probe. Als Österreicher hat man sich Jahr
für Jahr daran gewöhnt, dass zwar einige
Verhandlungsrunden lang mitunter heftig
um höhere Löhne gestritten wird, man
sich am Ende aber ohne gröbere Verwerfungen die Hand schüttelt und jede Seite
das Ergebnis als Erfolg feiert. Besonders
bei den tonangebenden Metallern kann
man den Ausgang des Lohnduells im
Grunde bereits am Beginn der Verhandlungen herleiten: Angebot der Arbeitnehmer plus Angebot der Arbeitgeber dividiert
durch zwei = Einigung.
Die eine oder andere Streikdrohung
steht auch in Österreich zwar immer
wieder im Raum, selten aber
wird die Arbeit tatsächlich
niedergelegt. Zwischen
Lesen Sie dazu mehr
auf den Seiten 1, 3
strozzi@tt.com
_/ A
2011 und 2020 gab es in Österreich im
Schnitt zwei streikbedingte Ausfalltage pro
1000 Beschäftigte, in Deutschland waren
es schon 18 Tage. Kein Vergleich zu den
Streikriesen Belgien oder Frankreich, wo
auf 1000 Arbeitnehmer jährlich mehr als
90 verlorene Arbeitstage kamen.
Heuer ist vieles anders. Teuerungsraten von aktuell mehr als 10 Prozent und
Rezessions-Sorgen machen es sowohl Gewerkschaften als auch Unternehmen viel
schwerer als sonst, von ihren Positionen
abzurücken. Der heute flächendeckende
Eisenbahnerstreik nach fünf geplatzten
Verhandlungsrunden trifft das Land ins
Mark, weil grundlegende Infrastruktur
lahmgelegt wird und sich alleine in Tirol
Zigtausende Menschen überlegen müssen,
wie sie zur Arbeit oder in die Schule kommen und ob sie es am Nachmittag rechtzeitig zum Kindergarten schaffen, um ihr
Kind abzuholen. 2003 gab es den letzten
mehrtägigen Eisenbahnerstreik.
Auch in anderen Branchen geht es
härter zu als sonst. Bierbrauer legen heute
die Arbeit nieder, und am Horizont drohen
Freitag und Samstag mitunter geschlossene Geschäfte, weil selbst der sonst zahme
Handel heuer die Streikkeule schwingt. In
der Krise muss sich die Sozialpartnerschaft jetzt erst recht beweisen.
Seite 4 von 24