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Jahr: 2022
/ Ausgabe: 2022_01_28_Presse_OCR
- S.4
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Tiroler Tageszeitung
„Gemeinsames Gedenken als Signal gegen die Spaltung“, Seite 21
Gemeinsames Gedenken als
Signal gegen die Spaltung
SPÖ- und ÖVP-Organisationen legten gestern erstmals gemeinsam
Kränze beim Mahnmal für das Gestapo-Lager Reichenau nieder.
Von Michael Domanig
Innsbruck — Es war eine Premiere mit Symbolkraft: Anlässlich des „Internationalen
Tags des Gedenkens an die
Opfer des Holocaust“ legten
der Bund der Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen und die ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten
gestern erstmals in einem gemeinsamen Akt Kränze beim
Mahnmal für die Opfer des
Innsbrucker Gestapo-Lagers
Reichenau nieder.
Alle Redner hoben den Bezug zur Gegenwart hervor: Es
gelte im Sinne einer aktiven
Erinnerungspolitik dafür zu
sorgen, dass aus einem „Niemals Vergessen“ ein „Nie
Wieder“ werde, erklärte der
Landesobmann der ÖVP-
Kameradschaft der politisch
Verfolgten, Clemens Hornich.
Wenn der Holocaust „auf der
Straße verharmlost“ werde, müsse man „aufstehen“,
mahnte die Landesvorsitzende der Sozialdemokratischen
FreiheitskämpferInnen, LA
Elisabeth Fleischanderl — gegen Ausgrenzung, Antisemitismus und kollektive Schuldzuweisungen.
Auch äVP -Stadtparteiobmann GR Christoph Appler
und SPÖ-Stadtparteivorsit-
‚ Wenn der Holo-
caust auf der Straße verharmlost wird, gilt
es aufzustehen.“
LA Elisabeth Fleischander!
(SPÖ)
zender GR Benjamin Plach
meinten unisono, dass in
Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spaltung gemeinsames Gedenken ein besonders wichtiges Signal sei.
Immer weniger Zeitzeugen
seien am Leben, sagte Günter Lieder, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde
für Tirol und Vorarlberg, umso mehr sei die Gesellschaft
„aufgerufen, die Erinnerung
aufrechtzuerhalten“.
Matthias Breit, Leiter des
Gemeindemuseums Absam,
der seit vielen Jahren für eine
aktive Gedenkkultur in Tirol
kämpft, machte ebenfalls klar,
dass „der Standort, von dem
aus die Geschichte befragt
wird, immer die Gegenwart
ist“ — und fand dabei äußerst
kritische Worte: Bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen mitten in Innsbruck
sei der Nazismus mit Parolen
wie „Nürnberg 2.0“, „Impfen
macht frei“ oder Vergleichen
zwischen Gesundheitsminister Mückstein und Josef Men-
keit. Matthias Breit (r.) fand kritische Worte und „benannte“ den Platz beim Mahnmal nach einem ermordeten jüdischen
‚ Das Gedenken
gemeinsam zu
veranstalten, entspricht
dem Anlass viel mehr.“
GR Christoph Appler
(OVP)
gele wiederholt „unübersehbar“ relativiert worden.
Und die Erinnerung an das
Lager Reichenau verkomme
und verschwinde „in der immer lauter werdenden Kulisse
einer Mülltrennungsanlage“,
kritisierte Breit. Damit verwies
er einmal mehr auf den Standort des Mahnmals direkt neben dem Recyclinghof in der
Roßaugasse - an einer stark
befahrenen Straße, deren
Lärm auch die Reden beim
Gedenkakt massiv störte.
Hinzu komme, dass der
1972 angebrachte Gedenkstein „ziemlich sorglos“ mit
der Vergangenheit des Lagers umgehe, ergänzte Breit.
Dieses habe im NS-System
verschiedenste Funktionen
gehabt - als Haftlager für Widerstandskämpfer, Auffanglager für italienische Arbeiter,
die zurück nach Italien flüchten wollten, als „Arbeitserziehungslager“ für Zwangsarbeiter, „Arbeitskräftereservoir“
für die lokale Wirtschaft und
die Stadt, als Station bei der
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GR Christoph Awler 0lemens Hornich, LA Elisabeth Fleischanderl, |K("rPräsldmt Gnntu Ueder und GR Ben]umln Plach (v.1.) mahnten zur Wachsam-
Mädchen.
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Deportation von Südtiroler Jüdinnen und Juden. Auf
dem Gedenkstein würden die
Inhaftierten, Malträtierten
und Ermordeten aber „generös und kollektiv zu Patrioten
verklärt“. Abschließend überraschte Breit die Anwesenden,
indem er den Vorplatz des
Mahnmals „illegal“ in „Elena
de Salvo-Platz“ umbenannte
— zur Erinnerung an ein 1943
sechs Jahre altes Mädchen
aus Meran, das über das Lager
Reichenau vermutlich nach
Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet wurde.
Laut Irene Heisz (SPÖ),
Obfrau des städtischen Kulturausschusses, arbeitet eine
mit namhaften ExpertInnen
besetzte, im Spätherbst formierte Kommission intensiv
daran, wie das Gedenken an
das Lager Reichenau neu kontextualisiert werden kann.
LH Günther Platter (ÖVP)
knüpfte auf Facebook gestern
an die weltweite Kampagne
#WeRemember zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus an, die sich auch
gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus richte: Es gelte „solche Entwicklungen wachsam
im Auge zu behalten und nie
zu vergessen, was damals geschehen ist“.
Fetos: Pack/TVP, Domanig