Pressespiegel seit 2021

Jahr: 2022

/ Ausgabe: 2022_01_22_Presse_OCR

- S.5

Suchen und Blättern in über 500 PDFs und 44.000 Seiten.





vorhergehende ||| nächste Seite im Dokument

Zur letzten Suche
Diese Ausgabe – 2022_01_22_Presse_OCR
Ausgaben dieses Jahres – 2022
Alle Ausgaben

Dieses Bild anzeigen/herunterladen
Gesamter Text dieser Seite:
Tiroler Tageszeitung

„Die Welt außerhalb der Komfortzone“, Seite 16

Die Welt außerhalb
der Komfortzone

Eindrucksvoll: Das Tiroler S$ymphonieorchester Innsbruck auf Augenhöhe
mit Strawinskys einstigem Aufreger „Le sacre du printemps“.

Von Markus Schramek

Innsbruck - Quasi totale Maskerade im Saal Tirol, kalendarisch haben wir zwar Fasching, aber leider eben auch
Dauercorona. Für Konzertbesucher ist ein FFP2-Behang
vor Mund und Nase längst
lästige Pflicht; und neuerdings musiziert das Tiroler
Symphonieorchester Innsbruck (TSOI) aus freien Stücken ebenfalls fast vollzählig
mit übergestreiften Anti-Virus-Schutzlappen, Bläser aus
verständlichen Gründen ausgenommen.

Beim Höhepunkt des
3. Symphoniekonzerts der
laufenden Saison (hier ist
die Schreibe vom ersten Termin am Donnerstag) ist zusätzliche Prävention sicher
kein Fehler: Denn bei Igor
Strawinskys wegweisendem Meisterwerk „Le sacre
du printemps” wird es auf
der Bühne richtig eng. Mehr
als 90 MusikerInnen werden aufgeboten, um diesen
Klangrausch in seiner ganzen
Wirkmacht zur Entfaltung
zu bringen. Dazu benötigt
es zusätzliches Blasgerät en
masse, Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte, eine Vielzahl
an Hörnern sowie lautstarkes
Schlagwerk, platziert auf beiden Flanken des Orchesters.

Welch ein faszinierendes
Schauspiel das abgibt, akustisch, na klar, aber auch visuell! Gebannt verfolgen Musikeraugen vorliegende Noten,
um beim ständigen Tempound Rhythmuswechsel nur ja
nicht zu spät dran zu sein. Da

Masken im Publikum, Masken im Orchester. Die strahlenden Gesichter am Ende des Symphoniekonzerts mit
Beethoven und Strawinsky kannn man sich dennoch unschwer vorstellen.

wird Schweiß von der Stirn
gewischt, und TSO/-Chefdirigent Kerem Hasan, der sich
am Pult völlig verausgabt,
muss sich die Brille wieder
geraderücken, so sehr gerät
er auch selbst in Schwingung.

Strawinsky hat diesen selbst
nach modernen Maßstäben
immens innovativ wirkenden
Musikexzess vor mehr als 100
Jahren für ein Ballett verfasst
- mit folgendem inhaltlichen
Ansatz: In heidnischer Zeit
wird ein junges Mädchen vor
den Augen alter, weiser Männer nach ekstatischem Tanz
dem Frühlingsgott geopfert,
auf dass dieser sich gnädig

zeige. Na ja, ganz klar eine
Männerphantasie.

In musikalischer Hinsicht
übergeht „Le sacre du printemps” damalige Konventionen, donnernd, stampfend,
schrill, mitunter jenseits der
Schmerzgrenze. Viel zu viel
für das Pariser Publikum des
Jahres 1913, als Strawinsky
bei der Uraufführung gnadenlos ausgepfiffen wurde.

Für uns heutige HörerInnen erschließt dieses Werk
hingegen neue Horizonte, die
Welt außerhalb der Komfortzone. Das TSOI! erweist sich
als würdiger Wegbegleiter,
zeigt sich den Schwierigkei-

Seite 5 von 15

Fona: Ch6/ wrn wnl ar

ten gewachsen, entwickelt
Dramatik, umschifft, unter
Kerem Hasans wachsamem
Taktstab, manche Klippe und
beschert dem Publikum (immerhin mehr als 1000 Gäste
an der Zahl) einen denkwürdigen Abend. Danke dafür!
PS: In Teil 1 des Konzerts
steht Beethovens lieblichbukolische 6. Sinfonie (Pastorale) auf dem Programm.
An der Performance des TSOI
gibt es wenig zu bekritteln.
Im Vergleich zum folgenden
Strawinsky-Feuerwerk ist
Beethoven an diesem Abend
jedoch nur eine freundliche,
wohlklingende Draufgabe.