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Jahr: 2025
/ Ausgabe: 2025_04_20_Presse_OCR
- S.5
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Tiroler Tageszeitung
„Irritation nach Theaterbesuch“, (Leserbrief) Seite 34
Irritation nach
Theaterbesuch
Thema: Rezension von Horvath-Stück.
ije Rezension der
Premiere ließ unerwähnt, dass Ödön von
Horväths Stück durch das
erfrischend unbefangen
agierende „leading team“
aus Kroatien und Serbien
komplett umgeschrieben
wurde. Dem Publikum
wurde eine unzweifelhaft
handwerklich wie inhaltlich großartige „Show“
präsentiert, die aber mit
dem ursprünglichen Thema nur mehr wenig zu tun
hatte. Wie auch auf Wikipedia nachlesbar, war
es Horväth aus eigenem
Erleben in den 1930er-
Jahren ein Anliegen, die
„Deformation“ menschlicher Charaktere im Umfeld unerwartet erfolgter
Emigration und der damit
verbundenen Herausforderungen zu ergründen.
Dafür hat er sich das in der
Theatergeschichte „prominent gewordene“ Paar
von Figaro und Susanne
ausgewählt. „Sie“ will ih-
rem Lebenskompass auch
unter widrigsten Umständen treu bleiben, „Er“ ist
da viel flexibler und passt
sich neuen Bedingungen
mit Leichtigkeit an. Diese Divergenz führt zum
Bruch zwischen den Eheleuten, am Ende des Stückes, das Horävth als Komödie bezeichnet hat,
finden beide wieder durch
die Macht des Faktischen
zueinander.
Dieses von Horväth vorgezeichnete Ende ist aber
für das Publikum im TLT
nicht erlebbar. Neben der
neu eingeführten Figur
des Danton fokussiert die
Inszenierung allgemein
auf Revolutionen und deren Folgen, der persönliche Konflikt zwischen
Susanne und Figaro tritt
in den Hintergrund. Zum
Schluss des Stückes wartet
Figaro mit einer hinzugetexteten „Suada“ auf, die
von revolutionär anmutender Kapitalismuskritik,
genährt aus den Gedanken der „68er-Jahre“, den
Bogen bis zur Klimapanik
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unserer Tage spannt. Ein
krudes Konstrukt, dem alle
Protagonisten - außer dem
„Vortragenden“ Figaro - in
„polar“ anmutenden weißen Anoraks aufmerksam
zu folgen haben. Das irritiert, weil aus dem neuen
Text gerade der drohende „Hitzetod“ für alle eine
Gefahr darzustellen hat.
Irritierend und verstörend sind auch die akustisch verstärkten Stimmen
der wunderbar agierenden
SchauspielerInnen. Ob
Musical, Schauspiel oder
Tanztheater, alles klingt
im TLT neuerdings gleich
„wie aus dem Radio“. Die
Intimität und feine Nuancierung der menschlichen
Stimme in Kombination mit der persönlichen
Bühnenpräsenz macht
den Zauber und die Tiefgründigkeit eines guten
Sprechtheaters aus. Darauf musste man an diesem
Abend verzichten.
Thomas Gasser
Theaterbesucher
6020 Innsbruck