Pressespiegel seit 2021

Jahr: 2024

/ Ausgabe: 2024_03_4_Presse_OCR

- S.9

Suchen und Blättern in über 500 PDFs und 44.000 Seiten.





vorhergehende ||| nächste Seite im Dokument

Zur letzten Suche
Diese Ausgabe – 2024_03_4_Presse_OCR
Ausgaben dieses Jahres – 2024
Alle Ausgaben

Dieses Bild anzeigen/herunterladen
Gesamter Text dieser Seite:
Der Standard

„Der Preis der Leere“, Seite 13 (Nachtrag)

29.02.2024

uf den ersten Blick ist es eine
A simple Angelegenheit: In vie-

len österreichischen Städten
ist Wohnraum knapp, die Mieten
sind in den vergangenen Jahren
stark gestiegen. Zugleich stehen tausende Wohnungen dem Markt nicht
zur Verfügung, weil sie nicht vermietet werden. Was wäre naheliegender, als eine Leerstandsabgabe
einzuheben, um damit das Problem
zu entschärfen? Hinzu kommt:
Wohnraum zu nutzen, der schon gebaut ist, bedeutet auch weniger Bodenversiegelung. Win-win.

Doch in der Praxis gilt es bei
einem solchen Vorhaben einige
komplexe Fragen zu beantworten:
Was genau gilt als Leerstand? Wie
hoch sollte die Abgabe sein?

Gut möglich, dass sich Experten
in Österreich in den kommenden
Monaten genau mit diesen Themen
befassen werden. Die türkis-grüne
Regierung will ja den Weg für echte
Leerstandsabgaben freimachen. Die
Koalition hat sich im Rahmen ihres
Pakets zur Förderung des Bausektors auf Drängen der Grünen darauf
verständigt, den Ländern künftig
mehr Möglichkeiten zur Einhebung
von Leerstandsabgaben zu geben.

Derzeit ist es so, dass Wohnpolitik („Volkswohnungswesen”) in die
Kompetenz des Bundes fällt. Die
Länder dürfen allerdings solche Abgaben einheben: Salzburg und die
Steiermark erlauben das ihren Gemeinden bereits, Tirol verpflichtet
sie dazu, und Wien hebt eine Abgabe für Zweitwohnsitze ein.

Jedoch hat der Verfassungsgerichtshof in einem Urteil 1985 festgelegt, dass solche Abgaben so niedrig sein müssen, dass damit keine
Mobilisierung von Wohnraum erfolgt - das wäre Bundessache. Aufgehoben wurde mit der Entscheidung damals eine kurz davor einge-

Der Preis der Leere

Die Regierung will es den Ländern ermöglichen, deutlich höhere Leerstandsabgaben einzuheben,
um damit mehr Wohnungen für den Markt zu mobilisieren. Ein sinnvoller Vorstoß?

Andräs Szigetvari

führte Leerstandsabgabe in Wien.
Die Folge: Die Leerstandsabgaben in
den Bundesländern sind niedrig, für
100-Quadrat -Woh fallen für Eigentümer gerade einmal
1000 Euro im Jahr an. Niemand wird
deshalb eine Wohnung vermieten.
Das soll sich durch eine Ergänzung der relevanten Verfassungsbestimmung künftig ändern.

Wie viel Leerstand gibt es?

Aber wie groß ist das Problem
wirklich? Laut der jüngsten Gebäude- und Wohnungszählung durch
die Statistik Austria aus dem Herbst
2021 waren 653.000 Wohnungen in
Österreich ohne Haupt- und Nebenwohnsitzmeldung. Dreizehn Prozent aller Wohnungen wären demnach leerstehend,

Diese Zahl gilt unter Experten allerdings als wenig zuverlässig. Die
Statistiker nutzen für ihre Auswertung das Melde- sowie das Gebäudeund Wohnungsregister. Beide Register werden aber nicht geführt, um
Leerstand zu erfassen. Genauere
Daten gibt es für Innsbruck und
Wien. In der Tiroler Landeshauptstadt beschäftigt sich ein eigenes
Referat mit der Erfassung von Leerständen, unter anderem, um damit
Kurzzeitvermietungen via Airbnb
überprüfen zu können.

Laut dem zuständigen Referatsleiter Manfred Hirsch werden im
Zuge der aufwendigen Überprüfungen Daten aus den Melderegistern
ergänzt, indem vor Ort Überprüfungen stattfinden. Mit etwas mehr als
der Hälfte der Gebäude sind er und
sein Team in Innsbruck durch, Die
Leerstandsquote, definiert als Wohnungen, in denen seit mehr als
sechs Monaten niemand gemeldet
ist, liegt demnach bei 8,7 Prozent.

In Wien analysiert die Arbeiterkammer seit 2018, wie viele neue

Wohnungen gebaut werden und wie
sich die Zahl der Haushalte verändert. Auf Basis einer Prognose zeigt
sich, dass zwischen 2018 und 2025
rund 34.000 Wohnungen in Wien
auf den Markt kommen dürften, die
niemand als Hauptsitz bewohnt.
Das entspricht der Größe Villachs,
wobei es schon vor 2018 Leerstand
in der Bundeshauptstadt gab, der
hier gar nicht erfasst ist, wie Thomas Ritt, Wohnbauexperte der Arbeiterkammer, sagt.

Kurzum: Auch wenn es keine exakten Zahlen gibt, Fakt ist, dass in
einigen Ballungszentren eine beträchtliche Zahl an Wohnungen dem
Markt entzogen sind. Was mit diesem Wohnraum geschieht, ist unterschiedlich: Neben den erwähnten
touristischen Vermietungen dienen
sie als Anlageobjekte, wie der Innsbrucker Referatsleiter Hirsch sagt.

Wie hoch wäre die Abgabe ...

Erste, nicht triviale Aufgabe der
Bundesländer wäre demnach, den
Leerstand zu erfassen. Überprüfungen wie in Innsbruck wären eine,
wenn auch aufwendige, Möglichkeit. Alternativ könnte in irgendeiner Form auf das Melderegister zurückgegriffen werden. Umgehungsmöglichkeiten gibt es dabei immer,
denkbar wäre etwa die Scheinmeldung für eine Wohnung. Wer eine
leerstehende Wohnung hat, könnte
damit die Abgabe umgehen., Für Investoren oder Airbnb-Vermieter, die
viele Wohnungen besitzen, wäre das
allerdings schon schwieriger.

Zweite Aufgabe der Bundesländer
wäre, festzulegen, wie hoch die Steuer auf leere Wohnungen sein müsste. Die Grünen in Wien haben ausgerechnet, dass die erwähnte Wiener
Abgabe aus den 1980er-Jahren, die
damals vom Höchstgericht als zu
hoch aufgehoben wurde, an die Infla-

Seite 9 von 10

Mlustration: Fatih Aydogdu

tion angepasst heute etwa 13 Euro je
Quadratmeter betragen würde. Das
wären bei 100 Quadratmetern also
Kosten von 1300 Euro im Monat. Im
Jahr wären das 15.600 Euro - wobei
hier die hohen Mietsteigerungen
seither nicht berücksichtigt sind.
Die Wiener Grünen schlagen für
eine Wohnung dieser Größenordnung einen niedrigeren Betrag vor,
rund 5300 Euro. Bei Bedarf könnte
der Betrag mit der Zeit steigen.

„ und würde sie wirken?

Der Innsbrucker Experte Hirsch
will keine Zahlen nennen, sagt aber,
dass sich die Abgabe danach richten
könnte, wie viele Wohnungen jemand leer stehen lässt und wie lange. Die Oma im Pflegeheim, deren
Wohnung nicht zwischenvermietet
wird, könnte somit ganz anders erfasst werden als ein Großinvestor.

Gibt es überhaupt Belege dafür,
dass eine Leerstandsabgabe funktionieren kann? Ja. Allerdings gibt
es nur wenige Studien dazu.

Der Wohnbauspezialist des Wifo,
Michael Klien, sagt, er kenne nur
eine Arbeit dazu: Die Ökonomin
Mariona Segü von der CY-Cergy-Paris-Universität und ihr Kollege Benjamin Vignolles von der Paris School
of Economics haben sich in einem
2018 publizierten Paper angesehen,
wie sich eine in Frankreich 1999 eingeführte Leerstandsabgabe ausgewirkt hat. Ergebnis: In Städten, in
denen die Abgabe eingeführt wurde,
ging der Leerstand im Verhältnis zu
jenen Ortschaften, in denen keine
Abgaben eingeführt wurden, um 13
Prozent zurück. Die meisten dieser
Wohnungen wurden auf den Markt
geworfen. Die Höhe der Abgabe betrug in Frankreich zehn Prozent der
erwartbaren Mieterlöse im ersten
Jahr und stieg danach auf 15 Prozent
an. Kommentar Seite 24