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Jahr: 2024

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Der Standard

„Johannes, der Läufer“, (Abendausgabe) Seite 8

enn man Johannes An-

zengruber anruft, hebt

er selbst ab. Nicht unge-

wöhnlich, könnte man

jetzt sagen. Schließlich

tun das ja die meisten
Menschen, nachdem man ihre Nummer gewählt hat. Nur: Anzengruber war bis vor kurzem Vizebürgermeister von Innsbruck, immerhin, Und: Seine Handynummer steht auf
seiner Website, es ist seine private. Innsbruckerinnen und Innsbrucker, die mit ihrem Ex-
Stadtchef sprechen wollen, brauchen ihn also
nur zu googeln - und haben einen direkten
Draht zu ihm,

Dass Anzengruber jeden Anruf persönlich
entgegennimmt, hat denselben Grund, wie
dass er den geliehenen Kastenwagen heute
selbst lenkt. Er bringt ein Lastenrad mit, das
auch ein Eiswagen ist, in den Rapoldipark im
Stadtteil Pradl, wo er an diesem sonnigen
Nachmittag Gratiseis an die Parkbesucher
ausgibt.

Vorher hat Anzengruber in der Altstadt Radieschen in SackerlIn mit seinem Gesicht darauf verteilt. Die Frau, die ihm beim Verteilen
hilft, ist seine Mutter, Die Radieschen sind aus
dem Anbau seiner Schwester. Und der Mann,
der mit ihm die Kisten in sein Auto lädt, ist
sein Schwager. Denn das Projekt „Anzengruber kandidiert noch einmal“ ist eine Art Familienbetrieb. „Anders geht"’s nit“, sagt der 45-
Jährige, „als dass die Leut’ zusammenhelfen.“

Anzengruber hat in seinem Leben zwar immer schon viel selbst gemacht. Aber nie so viel
wie jetzt. Der Grund für die neuentdeckte Doit-yourself-Mentalität des Innsbruckers: Er

Johannes, der Läufer

Seit er aus der ÖVP ausgeschlossen wurde, kampagnisiert Johannes Anzengruber in Eigenregie.
Um eine Chance auf den Bürgermeistersessel zu haben, muss er selbst laufen. Und das tut er.

Martin Tschiderer

wurde aus seiner Partei ausgeschlossen, Und
das war die in Tirol bekanntlich nicht ganz unwichtige ÖVP.

Eigentlich saß der gelernte Gesundheitswissenschafter und politische Quereinsteiger
auf dem Ticket der Volkspartei in Innsbrucks
Gemeinderat, wo er 2020 zum Stadtchef-Stellvertreter gewählt wurde. Doch in der notorisch zerstrittenen Innsbrucker Kommunalpolitik hielt diese Karriere nicht allzu lange.
Die am Inn bereits gespaltenen Konservativen
einigten sich auf den einstigen Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky (ÖVP) als
Spitzenkandidaten für die Bürgermeister- und
Gemeinderatswahl am Sonntag. Dafür schloss
die Volkspartei sogar mit Ex-Bürgermeisterin
Christine Oppitz-Plörer Frieden. Sie prägte
jahrelang mit ihrer eigenen Liste Für Innsbruck die Stadtpolitik. Nun kandidiert sie auf
Listenplatz zwei nach Tursky für die ÖVP, die
sich in der Tiroler Hauptstadt offiziell „Das
neue Innsbruck“ nennt.

Politische Affäre

Nachdem Anzengruber im Herbst überraschend ankündigte, mit einer eigenen Liste
kandidieren zu werden, folgte postwendend
der Ausschluss aus der Volkspartei. Und auch
eine politische Affäre trug zur Entfremdung
zwischen Anzengruber und seiner politischen
Heimat bei. Der damals noch amtierende Vizebürgermeister hatte mehrere Tausend Stück
der sogenannten Erlebnis-Card von einem
Unternehmen geschenkt bekommen, die laut
dem Betrieb sonst weggeworfen worden wären. Die Karte berechtigt zu Ermäßigungen
und freien Eintritten bei etlichen Freizeit-

institutionen in Tirol. Anzengruber vermittelte daraufhin über 3000 solcher Karten an Organisationen wie die Innsbrucker Berufsfeuerwehr und Angestellte der städtischen sozialen Dienste. Mit der Stadt und ihren Compliance-Regeln hat er das allerdings nicht abgestimmt,

„Ich habe die Karten nicht verschenkt, das
war das Unternehmen. Ich habe nur vermittelt“, sagt Anzengruber, Das Problem dabei:
Das betreffende Unternehmen arbeitete für
diverse andere Projekte mit der Stadt Innsbruck zusammen - nicht zuletzt mit dem Ressort des damaligen Vizebürgermeisters. Das
rief auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft auf den Plan. Sie ermittelt
wegen des Verdachts der Vorteilszuwendung
und Vorteilsannahme. Anzengruber bestreitet die Vorwürfe, Ein Ergebnis steht noch aus.
Und wie immer, wenn die Korruptionsjäger
am Ruder sind, gilt: Werden die Ermittlungen
eingestellt, ist die Sache rechtlich abgeschlossen. Ein Reputationsschaden aber bleibt.

Wo es also früher Mitarbeiter und sattes
Budget aus der Parteikasse gab, gibt es jetzt
zwei Hände und einen Kastenwagen. Eine
improvisierte Rampe aus zwei Holzbrettern
und mit Unterstützung des Schwagers geht
das Eisdielen-Lastenrad schon irgendwie aus
dem Van. Und das Auto, in dem der Schwager
den Aufsteller mit dem Parteilogo transportiert hat, mit dem Listenlogo auch an den Türen? Ist der für den Wahlkampf geleast? „Na
hallo!“, sagt Anzengruber. „Das ist mein privates. Eigenhändig beklebt, so wie hundert
andere von Freunden, Verwandten und Unterstützern.“

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Eismann im Rapoldipark: Johannes
Anzengruber ist gern „draußen bei
den Leuten“, wie er sagt. Er gibt Eis
aus, aber auch Radieschen mit
Autogrammkarten. Anzengruber
war Vizebürgermeister in
Innsbruck, nun will er Bürgermeister werden und bringt

damit die Harmoniebestrebungen
der Volkspartei gehörig durcheinander.

Foto: Aorlan Scheible

Das E-Lastenrad steuert der Politiker dann
zielsicher auf die kleine Grünfläche neben
dem Spielplatz. „Ja, ein Eis!“, ruft ein Volksschüler, Hinter ihm bildet sich schnell eine beachtliche Traube aus Müttern, Vätern und
Halbwüchsigen: potenzielle Wähler von morgen. Aber auch zu ein paar Studierenden, die
beim nahen Weiher Volleyball spielen, hat
sich der Eiswagen schnell herumgesprochen.

„Nix tun“ geht nicht

Was will Anzengruber politisch - außer
selbst anpacken? „Unser Programm habe ich
aus allen Stadtteilen erarbeitet“, sagt er. „Für
mich war’s wichtig, draußen bei den Leuten
zu sein.“ Er wolle von ihnen selbst hören, wo
die Probleme liegen. „Die wohnen und arbeiten da schließlich täglich.“

Im Gemeinderat habe man sich viel zu viel
um Parteipolitik und Eigeninteressen gekümmert, Als Bürgermeister würde er als Erstes
wieder eine wöchentliche Sprechstunde für
die Innsbruckerinnen und Innsbrucker einführen. Inhaltlich sei das Wohnthema ebenso zentral und virulent wie das der Mobilität.
„Wir haben alle Tage 65.000 Pendler.“ Bei
130.000 Einwohnerinnen und Einwohnern,
Der öffentliche Verkehr in Innsbruck solle
nach Anzengrubers Vorstellung bis 2030 kostenlos nutzbar sein.

Um eine Chance zu haben, Projekte wie
dieses als Stadtchef umzusetzen, wird der
einstige Pächter der Innsbrucker Arzler Alm
bis zum Sonntag noch viel selbst anpacken
und weiterlaufen müssen. Dass er das auch
tun wird, daran lässt er wenig Zweifel, „Weil
nix tun“, sagt Anzengruber, „des konn" i nit.“