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Jahr: 2024

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Der Standard

„Die Mobilisierung entscheidet am Inn“, Seite 8
26.4.2024

Die Mobilisierung entscheidet am Inn

Zwei Faktoren machen Prognosen vor der Stichwahl in Innbruck am Sonntag schwierig: die Links-rechts-Pattstellung
nach dem ersten Wahlgang und die große Unbekannte namens Wahlbeteiligung.

as Ergebnis des ersten Wahl-
D tags war eine Überraschung.
Fast alle in Innsbruck hatten
erwartet, dass es Amtsinhaber
Georg Willi von den Grünen oder
der aus der ÖVP ausgeschlossene
und mit eigener Liste angetretene
Johannes Anzengruber in die Stichwahl um das Bürgermeisteramt in
Tirols Landeshauptstadt schaffen
würde. Nur wenige hatten am Tapet, dass es beide sein könnten -
und dass der in mancher Umfrage
erstgereihte FPÖ-Kandidat Markus
Lassenberger mit Platz drei an einer
zweiten Runde scheitern würde.
Die nächste Überraschung dürfte
es bei der Stichwahl am Sonntag geben. Die wenigsten politischen Beobachterinnen und _Beobachter
trauen sich im Vorfeld wirklich, eine
Einschätzung über den Favoritenstatus der beiden verbliebenen Kandidaten abzugeben.

Unzufriedenheit mit Willi

Zwar gibt es zwei Faktoren, die
nicht wenige am Inn eher an einen
Sieg des einstigen ÖVP-Vizestadtchefs Anzengruber glauben lassen:
Erstens, Innsbruck ist eine traditionell bürgerlich geprägte Stadt. Und
zweitens: Willis sechsjährige Amtszeit war von politischem Zank, persönlichen Intrigen und Skandalen
geprägt. Zahlreiche anvisierte Projekte wurden politisch blockiert und
konnten somit nicht umgesetzt
werden. Dazu kam auch noch eine
politische Affäre, die Willi selbst
auslöste und die sogar die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) auf den Plan
rief: Der Bürgermeister hatte seiner
Ex-Personalamtschefin umstrittene
Sonderverträge gewährt. Die Ermittlungen wurden bald eingestellt,
der Reputationsschaden aber blieb.

Doch auch Anzengruber wurde
von einer politischen Affäre eingeholt. Er hatte eine Verschenkaktion
von mehreren Tausend Ermäßigungskarten an diverse Organisationen vermittelt. Mit dem Unternehmen, das die Karten vertrieb, hatte
sein Ressort in der Stadtregierung
zuvor schon mehrfach zusammengearbeitet. Auch hier ermittelt die

Martin Tschiderer

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Der grüne Amtsinhaber Georg Willi (rechts) und der einstige ÖVP-Vizebürgermeister Johannes Anzengruber:
Einer der beiden wird am Wahlsonntag als neuer Stadtchef der Tiroler Landeshauptstadt feststehen.

WKStA - wegen Verdachts der Vorteilszuwendung und Vorteilsannahme. Anzengruber bestreitet die Vorwürfe. Anzengruber selbst war als
bis Ende 2023 amtierender Vizebürgermeister nicht ganz unerheblich
an der wenig erfolgreichen Innsbrucker Stadtregierung beteiligt.

Für die Entscheidung in der Stichwahl wird es also - wie so oft - zentral auf die Mobilisierungsfähigkeiten der beiden Kandidaten ankommen. Der erste Wahldurchgang vor
knapp zwei Wochen zeigte nämlich
eine Art Pattstellung zwischen Kandidatinnen und Kandidaten links

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und rechts der Mitte - auf beide entfiel ein ähnlicher Anteil an Stimmen.

Der politischen Weltanschauungs- und Farbenlehre nach darf
zwar als wahrscheinlicher gelten,
dass Wählerinnen und Wähler, die
im ersten Wahlgang für SPÖ-Kandidatin Elisabeth Mayr stimmten (15,2

Prozent), ihr Kreuzerl am Sonntag
beim Grünen Willi und nicht bei Ex-
ÖVPler Anzengruber machen. Auch
dürften bisherige Wähler des Blauen Lassenberger (15,9 Prozent) in der
Stichwahl eher zum Mitte-rechts-
Kandidaten Anzengruber neigen.
Die große Unbekannte ist die Wahlbeteiligung. Heißt: Wie viele der bisherigen Rot- oder Blauwähler am
Sonntag überhaupt wählen gehen,
ist nicht prognostizierbar.

„Für Anzengruber sprechen sicher
die Wahlempfehlungen“, sagt Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-
Hämmerle zum STANDARD. Der im
ersten Wahlgang nur fünftplatzierte
ÖVP-Kandidat Florian Tursky, in
Innsbruck mit seiner Liste unter dem
offiziellen Namen „Das neue Innsbruck“ an den Start gegangen, gab
ebenso eine Wahlempfehlung für
Anzengruber ab wie die FPÖ. Weil
Parteizugehörigkeiten heutzutage
aber eine viel geringere Rolle spielen
als noch vor wenigen Jahrzehnten,
sollte dieser Faktor laut der Politologin nicht überbewertet werden.

Kein Favorit

Klar ist: Für die Grünen wäre
nicht Anzengruber, sondern der
blaue Lassenberger Wunschkandidat für eine Stichwahl gewesen. „Da
hätte man mit der Verhinderung
eines blauen Bürgermeisters neben
SPÖ-Wählern auch ein breiteres bürgerliches Lager stark mobilisieren
können“, sagt Stainer-Hämmerle.

Auch für Politikwissenschafter
Peter Filzmaier macht die geringere
Trennschärfe zwischen den Linien
der beiden Kandidaten Prognosen
noch deutlich schwieriger, als sie bei
einer polarisierteren Stichwahl gewesen wären. Und er gießt das Dilemma im STANDARD-Gespräch in
eine Zahl: „Für acht von zehn Innsbruckerinnen und Innsbrucker -
Nichtwähler eingerechnet - war vor
zwei Wochen weder Willi noch Anzengruber der Kandidat, für den sie
stimmten.“ Anders gesagt: Jede Zuschreibung einer Favoritenrolle
wäre aus wissenschaftlicher Sicht
unseriös. „Aber wenn man raten
will“ sagt Filzmaier, „stehen die
Chancen immerhin bei 50/50.“