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Jahr: 2024
/ Ausgabe: 2024_05_22_Presse_OCR
- S.4
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Tiroler Tageszeitung
„Von Kunst - und denen, die sie nicht aushalten“, Seite 2
Von Michael Domanig
nd schon sind sie wieder weg:
U Vier „Wortdenkmäler“ von
Christine und Andreas Pavlic,
die im öffentlichen Raum auf geschickte, originelle Weise zum Nachdenken
über Aspekte der lokalen NS-Geschichte
anregen sollten, wurden in Innsbruck
vorige Woche vorzeitig abgebaut. Der
Hintergrund: massive Beschädigungen, in
einem Fall sogar noch vor der Eröffnung.
Auch wenn es bislang keine Hinweise
auf politische Motive gibt, der Vandalismus vielleicht eher von Alkohol und
Langeweile befeuert war: Aggression
gegen Kunstwerke — wie auch historische
Kulturdenkmäler - im öffentlichen Raum
sollte stets hellhörig machen. Und man
hat schon den Eindruck, dass Kunst, die
brisante gesellschaftspolitische Themen
berührt, gehäuft von Attacken betroffen
ist: Ursula Beilers „Grüß
. Göttin“-Tafel, die Fragen
e
I
; Lesen Sie dazu mehr
auf Seite 21
michael.domanig@tt.com
Kommentar
Von Kunst —-
die sie nicht aushalten
und denen,
nach Macht- und Geschlechterverhältnissen stellt, wird nicht zufällig regelmäßig
beschmiert oder übermalt. Spontan fällt
einem auch die Installation „Mobiles
Bethaus“ (Oskar Stocker, Luis Rivera) ein,
die 2021 vor dem Landestheater an die
Pogromnacht 1938 erinnerte und prompt
beschädigt wurde — oder eine kapitalismuskritische Plastik von Chris Moser, die
2019 im Inn landete.
Im Fall der Wortdenkmäler aus Karton
war der Abbau schon aus Sicherheitsgründen unumgänglich (lose Befestigungen, scharfe Kanten), unwürdig wäre
ein Erinnerungsprojekt mit beschädigten
Buchstaben auch. Zudem geht die Initiative online weiter. Dennoch ist es schade,
dass die Arbeiten —- die noch dazu bestens
erklärt und kontextualisiert waren —- damit
aus dem Straßenraum verschwinden. Soweit künstlerisch, technisch und finanziell
möglich, sollte die Antwort auf die Beschädigung oder Zerstörung von Kunstwerken im öffentlichen Raum grundsätzlich eher „Jetzt erst recht“ lauten.
Denn eine reife demokratische Gesellschaft muss lernen, auch unbequeme,
verstörende, provokante Kunst auszuhalten —- und die Diskussionen, die sie im
besten Fall auslöst, offen zu führen.
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