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Jahr: 2024
/ Ausgabe: 2024_08_24_Presse_OCR
- S.5
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Tiroler Tageszeitung
„‚Sind nicht die Schulbuben des Landes‘““, Seite 3
„Sind nicht die Schulbuben des Landes“
Im Interview vor seinem 100. Tag als Innsbrucker Bürgermeister geht Johannes Anzengruber bei Finanzen
und Wohnen auf Konfrontationskurs mit dem Land Tirol. Die Stadtkoalition sieht er auf einem guten Weg.
Morgen Sonntag sind Sie
100 Tage als Innsbrucker
Bürgermeister im Amt. Wie
war die Startphase - ruhiger
als erwartet oder härter?
Johannes Anzengruber: Nein,
es war so, wie ich es erwartet
habe. Natürlich gibt es im Laufe der 100 Tage viele Höhen
und Tiefen, wie im alltäglichen
Leben auch. Aberes macht mir
jeden Tag Freude, in der Früh
ins Rathaus zu gehen, um Herausforderungen zu lösen. Die
Leute haben eine Gaudi, dass
wir Projekte umsetzen und eine stabile Koalition haben.
Unter Ihrem Vorgänger
überwog der Eindruck von
Streit im Gemeinderat. Im
Moment ist es ruhig, auch
von den Koalitionspartnern
hört man wenig. Warten alle nur auf einen Fehler des
Bürgermeister-Neulings?
Anzengruber: Nein, in der
Koalition sind wir uns einig.
Wir haben einen sehr guten
Austausch, kommunizieren
tagtäglich. Wir haben einen
detaillierten Zukunftsvertrag
erarbeitet, mit 470 wesentlichen Projektmaßnahmen, von
denen über 100 schon in Bearbeitung sind und wir 30 nahezu abgeschlossen haben. Wir
arbeiten zielstrebig, organisiert und vor allem transparent
und abgestimmt. Das ist unser
Koalitionsmodus. Wie die Opposition ihre Rolle sieht, ist ihre Sache. Die Türen im Bürgermeisterbüro sind immer offen,
wenn sie mich anrufen, gebe
ich immer Auskunft. Es liegt
an der Opposition, inwieweit
sie Unruhe stiften wollen.
Ein großer Beschluss ist im
Gemeinderat gefallen: die
Neugestaltung des Bozner
Platzes. Wie will man Kritiker überzeugen, die sichtbares Bodengrün vermissen
und einen grauen „Landhausplatz 2“ befürchten?
Anzengruber: Wir werden
sie überzeugen, indem wir
das Projekt umsetzen und sie
dann, wenn sie dort verweilen, Freude haben. Da werden
Veranstaltungen und Märkte
stattfinden, da gibt es Gastgärten und konsumfreie Plätze.
Wir nehmen die Ampelanlagen weg, es wird eine Begegnungszone. Man hat während
der jüngsten Baustelle gesehen, wie gut das funktioniert.
Das wird ein sehr toller Platz.
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Bei der Verteilung von Geldern durch das Land sieht Johannes Anzengruber („JA - Jetzt Innsbruck“) die Landeshauptstadt benachteiligt. Foto: T"/Daniel Liebl
Leuchtturmprojekt? Oder
haben Sie andere Visionen
für Innsbruck?
Anzengruber: Der Bozner
Platz ist ein gemeinschaftliches Projekt. Generell werde
ich nicht mit Gewalt versuchen, irgendein Mega-Projekt
herauszuzaubern, das ein Vermögen kostet und dann dasteht. Natürlich wollen wir die
Stadt nachhaltig und klimafit
entwickeln, für Aufenthaltsund Lebensqualität in den
Stadtteilen sorgen. Das sind
meine Leuchtturmprojekte.
Nicht nur der Bozner Platz
wird zur Großbaustelle, es
gibt aktuell zahlreiche Straßenbaustellen, in Mühlau,
im Saggen, bei Innsbruck-
Mitte. Bräuchte es nicht eine
bessere Koordination?
gruber: B llen wird
es in der Stadt immer geben,
das werden auch die IKB und
alle Leitungsverleger bestätigen. Wenn man an einem Eck
fertig ist, fängt es am ersten
Eck wieder an. Ich weiß, es ist
hart, es ist mühsam, aber es
wird nichts nützen. Und wir
haben deshalb auch eine enorme Qualität in der Daseinsvorsorge und Infrastruktur. Im
Baustellenmanagement müssen wir optimieren. Bis dato
stand eher die Koordination
der Firmen untereinander im
Mittelpunkt. Ich und unsere
Koalition sehen es so, dass wir
mehr auf die Anrainer und ihre
Bedürfnisse eingehen wollen.
Eine Dauerbaustelle anderer Art ist Wohnen. Kürzlich
hat man für eine 81-jährige Frau aus Birgitz, deren
Mietvertrag nicht verlängert
wurde, rasch eine Wohnung
in Innsbruck gefunden. So
wichtig das für die Frau ist,
aber was signalisiert das den
InnsbruckerInnen, die vergeblich auf der Suche sind?
Anzengruber: In der Bürgersprechstunde sind sicher 50
bis 60% Wohnungsthemen.
Dazu haben wir klare Ansagen
im Zukunftsvertrag gemacht.
So wollen wir mit dem Innsbrucker Wohnticket das System digitalisieren, Wohnungen effizienter und schneller
vergeben. Auch sollen ältere
Personen, die große Wohnungen haben, direkt mit jungen
Familien tauschen können.
Noch heuer wollen wir Vorbehaltsflächen für den geförderten Wohnbau beschließen.
Wir werden alle Instrumente der Tiroler Bau- und der
Raumordnung nutzen, aber
das Land muss weitere Werkzeuge bereitstellen. Wer eins
und eins addieren kann, weiß,
dass wir einen Wohnungsnotstand in Innsbruck haben.
Zur Ausweisung der Vorbehaltsflächen: Handelt es
sich dabei um Flächen, die
bereits bekannt sind?
Anzengruber: Auch und vielleicht die eine oder andere,
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die dazukommt. Wir sind hier
auch nicht die Schulbuben des
Landes. Wir wissen, was wir zu
tun haben, und gehen davon
aus, dass auch das Land seine
Hausaufgaben erfüllt.
Das Land Tirol muss sparen,
bei Förderungen und Investitionen wird der Gürtel enger geschnallt. Wie schaut es
in der Stadt aus?
Anzengruber: Auch wir müssen sparen. Die Vertikalfinanzierung im Finanzausgleich
wurde nicht großartig verändert, die Einnahmensituation bleibt gleich bzw. wird
schlechter. Die Ausgaben steigen, auch wegen der Indexierung. Wir setzen selbst den
Sparstift an, werden Projekte
gegebenenfalls hintanstellen.
Was die Verteilung der Gelder
angeht, sehe ich Innsbruck als
Landeshauptstadt aber schon
benachteiligt. Daher werden
wir zuerst dem Land Tirol klarmachen, welche vielfältigen
zentralörtlichen Aufgaben die
Stadt Innsbruck hat. Ich hoffe, das Land anerkennt diese
Leistungen, so dass wir im Verhältnis gleich viel bekommen
wie die restlichen Gemeinden.
Stimmt es, dass die Stadt in
einzelnen Bereichen Kürzungen von bis zu 50% vornehmen muss?
Anzengruber: Wir werden es
sicher nicht so wie Hall machen (pauschale 50 %-Kürzung bei den meisten Vereinssubventionen, Anm.). Es kann
sein, dass Projekte auslaufen
oder bei dem einen oder anderen die Relevanz nicht mehr so
gesehen wird. Aber wir versuchen, das, was letztes Jahr an
Subventionen ausbezahlt wurde, auf alle Fälle zu halten. Das
wird eine große Challenge.
Gemeinderat, „Vize“ und
jetzt Bürgermeister. Ist das
der politische Gipfel oder eine Zwischenstation?
Anzengruber: Ich fühle mich
sehr wohl in meiner Rolle. Wir
haben als Koalition und ich als
Bürgermeister 100 Tage hinter
uns, aber noch mehr als 2000
Tage harter Arbeit vor uns.
Und wenn die ÖVP erkennen sollte, dass Sie ein guter
Mann für den Landtagswahlkampf 2027 wären?
Anzengruber: Ich bin den
BürgerInnen der Stadt verpflichtet, diese haben mich
gewählt. Wenn es in Richtung
Land oder Bund weitergehen
würde, wäre ich immer den
BürgerInnen verpflichtet. Ich
werde mich an diese halten
und an keine Partei.
Sie bleiben definitiv bis 2030
Bürgermeister?
Anzengruber: Das ist der Plan.
Kann es eine eigene Liste für
2027 geben?
Anzengruber: Darüber denke
ich jetzt wirklich nicht nach.
Auch rund um den 100. Tag
Ihrer Amtszeit ist es sommerlich heiß, in Innsbruck
ist der Klimawandel stark
spürbar. Wo kühlt sich der
Bürgermeister ab?
Anzengruber: Ich gehe fast jedes Wochenende mit meiner
Frau in der Natur spazieren
oder wandern. Da tankt man
Energie, da kühlt es ab. Ansonsten sind es in der Stadt die
Parkanlagen oder Straßenzüge
mit vielen Bäumen.
Das Gespräch führten Michael
Domanig und Matthias Christler