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Jahr: 2024

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- S.12

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Der Standard

„Hoffnung und Verzweiflung bei den Gestrandeten in der Halle“, Seite 2

18.9.2024

Hochwasser ist
rechtlich gesehen
keine Krise

Krisensicherheitsgesetz
aktuell nicht angewandt

Maximilian Werner

es, klare Rahmenbedingun-

gen zu schaffen, schnelle Informationsflüsse zu schaffen und
effiziente Strukturen zu schaffen.“
Mit diesen Worten warb Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) im Juli
2023 im Parlament für Zustimmung
zum neuen Bundes-Krisensicherheitsgesetz. Die Koalitionsparteien,
ÖVP und Grüne, stimmten dann tatsächlich zu; mit ı. Jänner 2024 trat
das Gesetz in Kraft, auch wenn die
Opposition davon nicht überzeugt
werden konnte. Doch bei der aktuellen Hochwasser-Krise, die immerhin einen großen Teil des Landes
fest in ihrem Griff hat, wird das Gesetz nicht angewandt.

Das liegt daran, dass das Bundes-
Krisensicherheitsgesetz nur dann
zum Einsatz kommt, wenn es sich
auch um eine Bundes-Krise handelt:
„Eine Krise wird dann festgestellt,
wenn die notwendigen Maßnahmen zur Abwehr ebendieser in die
Zuständigkeit des Bundes fallen.
Also wenn beispielsweise große Gefahr über mehrere Bundesländer
hinweg besteht oder diese nur durch
Maßnahmen des Bundes abgewandt
werden kann“, schreibt Lukas Bedits
auf STANDARD-Anfrage. Er ist Pressesprecher im Krisensicherheitsbüro, das im Bundeskanzleramt eingerichtet wurde.

Und genau diese Voraussetzung
sei im aktuellen Fall des Hochwassers nicht gegeben: „Hierbei handelt
es sich um eine Katastrophe, bei der
die operative Koordination und Setzung von Maßnahmen zur Bewältigung der Katastrophe in der Zuständigkeit des jeweiligen Landes liegt.“
Denn die Abwehr, Beseitigung oder
Linderung von Katastrophen sei in
Österreich Landessache.
Krisenzustand

Eine Krise ist dann eine Krise gemäß Bundes-Krisensicherheitsgesetz, wenn die Bundesregierung dieser Meinung ist, Dann kommt das
Koordinationsgremium ins Spiel.
Dieses besteht aus Vertreterinnen
und Vertretern von Kanzler und Vizekanzler sowie weiterer betroffener Regierungsmitglieder — also aus
fachkundigen Bediensteten der Ministerien - und unterstützt die Bundesregierung, die Krise zu bewältigen. Beratend an den Sitzungen
können auch Vertreter der Länder,
Städte und Gemeinden sowie Betreiber kritischer Infrastruktur und
Einsatzorganisationen teilnehmen.

Doch weil es sich eben nur um
eine Krise der Länder handle, ist dieses Koordinationsgremium rund
um das Hochwasser aktuell nicht
aktiv. Für die Koordination von
Maßnahmen arbeitet das Staatliche
Krisen- und Katastrophenschutzmanagement (SKKM) im Innenministerium, erläutert Lukas Bedits.
Im Koordinationsausschuss des
SKKM sind die Ministerien, die Bundesländer, die Einsatzorganisationen und auch externe Expertinnen
und Experten vertreten. Und hier
kommt dann das Krisensicherheitsgesetz doch wieder ins Spiel. Denn
der aufgrund dessen eingesetzte
Krisensicherheitsberater der Bundesregierung, _Peter Vorhofer,
nimmt an den Sitzungen teil.

Klares Ziel dieses Gesetzes ist

Hoffnung und
Verzweiflung

bei den

Gestrandeten
in der Halle

In den evakuierten Gemeinden laufen
die Aufräumarbeiten auf Hochtouren.
Viele Menschen müssen weiterhin in
der Messe Tulln ausharren und
dürfen nicht heimfahren.

Max Stepan, Oona Kroisleitner

amilienvater Günther ist mit seinen
zwei Töchtern gerade erst in seine Heimatgemeinde Rust am Tullnerfeld zurückgekehrt. Die Nacht hatten sie bei
Verwandten verbracht. Die Kommune war
eine von mehr als ein Dutzend Gemeinden in
Niederösterreich, in denen die Bevölkerung
vor dem Hochwasser gerettet werden musste.

Aus der Garage des Einfamilienhauses
schlängelt sich ein dicker Feuerwehrschlauch,
aus dem pausenlos braungelbes, dickliches
Wasser auf die Straße strömt. Das penetrante, unangenehme Geräusch der Schmutzwasserpumpe dröhnt unaufhörlich durch die kleine Gasse. Die Familie steht mit Besen und
Schaufel im Garten und versucht dem
Schlamm beizukommen. Aus der braunen
Masse ragt angeschwemmtes Holz. Die
Schiebtruhen sind voller Matsch. „Im Keller
steht das Wasser, und auch das Erdgeschoß ist
waschelnass“, erzählt Günther. „Wir haben
aber noch Glück gehabt und konnten heute
wieder zu unserem Haus. Viele kommen jetzt
wieder nicht rein.“

Im Laufe des Vormittags sperrte die Polizei
erneut alle Zufahrten nach Rust. Autos werden angehalten und müssen umkehren. Viele Einheimische dürfen am Dienstagvormit-

nach wie vor nicht zu ihren Häusern. Auch
Günther musste gemeinsam mit seinen Töchtern die Nacht von Montag auf Dienstag bei
Verwandten verbringen und wurde davor gewarnt, in Rust zu bleiben. „Jetzt tun wir unser
Bestes, um den Schaden zu beseitigen, Es ist
wirklich nicht lustig.“

Hilfe aus Tirol

Die Feuerwehr ist seit mehreren Stunden
damit beschäftigt, in Rust für Ordnung zu sorgen. Auf der Straße liegen umgestürzte Straßenlaternen und Verkehrsschilder - etliche
Gärten sind voller persönlicher Gegenstände.
In einem Vorga: liegt ein ö Bücherregal, ein Rasenmäher ragt aus dem
Schlamm, dort liegt eine kaputte Gartenbank

aus Holz. Und überall der braune Matsch, Viele Häuser stehen noch im Wasser.

Nach Rust sind auch etliche Feuerwehrleute aus Innsbruck, dem anderen Ende Österreichs, angereist, um den betroffenen Men-

schen bei den Aufrä beiten zu helfen, Das
ist eine ziemlich erweiterte Nachbarschaftshilfe, Die Gemeinschaft, die Solidarität hält.
Die Menschen sind in ihrem Unglück und
ihrer Verzweiflung auch dankbar.

Jene Menschen, die nicht das Glück hatten,
wieder nach zu Hause zurückkehren zu kön-

Eine Bewohnerin bei
den Aufräumarbeiten im Haus.

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nen oder bei Freunden oder Verwandten
unterzukommen, wurden in der Messe Tulln
vom Roten Kreuz betreut. In einer Halle stehen rund 400 Feldbetten, auf denen zahlreiche Menschen sitzen. Die Stimmung ist angespannt. Ernste Blicke, nachdenkliche Mienen,
manchen ist die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Viele von ihnen haben über Nacht
ihr ganzes Hab und Gut verloren, andere wurden wiederum aus reinen Sicherheitsüberlegungen fortgebracht. Sie hoffen, dass es nicht
noch schlimmer kommt.

„Nur 20 Minuten Zeit“

Johann und Anna sitzen gemeinsam auf
einem Feldbett. Sie kommen aus Judenau,
ihre Gemeinde liegt an der Kleinen Tulln. Sie
haben möglicherweise alles verloren, so genau wissen sie das noch nicht. Die beiden
wurden am Montag von der Feuerwehr evakuiert. „Wir hatten nur 20 Minuten Zeit, um
unsere Wertsachen in Sicherheit zu bringen.
Das reicht gerade mal, um zwei Autos auf
einen sicheren Parkplatz zu stellen, und das
war’s“, erzählt Johann, den Hund zwischen
den Beinen, dem STANDARD.

Während der Evakuierung wurde dem Niederösterreicher bereits das Ausmaß der Zerstörung bewusst. „Unter dem Holzboden hat
man komische Geräusche gehört, dort ist das
Wasser eingedrungen. Aus dem Klo und den
Abflüssen ist schon das Wasser geflossen.“
Wenig später, als Johann und Anna gemeinsam mit der Feuerwehr den Ort verließen, sei
das Wasser bereits zehn Zentimeter über der
Haustür gestanden. „In Judenau wohnen wir
in der Ufergasse. Mehr müssen wir gar nicht
erzählen“, sagt Anna und schaut verloren in
die Ferne. Nun sitzen die beiden gemeinsam
mit dem Husky auf einem Feldbett und warten auf weitere Informationen. Wann es wieder nach Hause geht? „Wir haben keine Ahnung.“

Aus Judenau stammt auch eine Pensionistin, die anonym bleiben will, aber dennoch