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Jahr: 2024
/ Ausgabe: 2024_11_12_Presse_OCR
- S.9
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Tiroler Tageszeitung
„‚Brauchen schnell eine Lösung“‘“, Seite 17
„Brauchen schnell eine Lösung“
Ein Abbruchhaus in Innsbruck wurde der Vinzenzgemeinschaft Waldhüttl zum „Abwohnen“
zur Verfügun
Innsbruck - Die Zimmer sind
sauber aufgeräumt, überall
liegen Matratzen auf den Böden. Mit Teppichen haben die
Bewohner versucht, ihre Zimmer so wohnlich wie möglich
zu gestalten. Das große Gebäude in der Leopoldstraße in
Innsbruck steht der Vinzenzgemeinschaft Waldhüttl seit
rund einem Jahr zur Verfügung. „Die Immobiliengesellschaft hat uns das Haus zum
Abwohnen zur Verfügung gestellt“, schildert Obmann Jus-
suf Windischer.
‚’ Wenn wir keine
Lösung finden,
müssen die Leute wieder
auf der Straße schlafen,
unter der Brücke.“
Jussuf Windischer
(Vinzenzgem. Waldhütt!)
30 Angehörige der Roma
und Sinti, Familienclans aus
Rumänien, sind hier untergekommen, darunter eine Familie mit schulpflichtigen Kindern, eine weitere Familie mit
Kleinkind und eine schwangere Frau. „Die Menschen leben
hier in begleiteter Selbstverwaltung, Voraussetzung ist,
dass sie weder alkohol- noch
suchtkrank sind“, schildert
Windischer. Es war zwar immer klar, dass das Haus in
absehbarer Zeit abgerissen
wird, der konkrete Zeitpunkt
kam aber überraschend. „Ursprünglich haben wir gedacht,
dass wir noch bis Jänner Zeit
haben“, erzählt der Vereinsobmann. „Jetzt brauchen wir
schnell eine Lösung.“
Denn die Immobilienfirma hat dem Verein eine Frist
bis kommenden Donnerstag
gesetzt. Zwei Tage haben die
Bewohner noch Zeit, um ihre
Jussuf Windischer (2.v.1.) und And
wenigen Habseligkeiten zusammenzuräumen. „Die Leute müssen dann wieder auf der
Straße schlafen, unter der Brücke“, weiß Windischer. Gerade
von dort wollte der engagierte
Vereinsobmann die Menschen
aber wegbekommen, weshalb
er einen so genannten Prekariumsvertrag mit dem Hauseigentümer in der Leopoldstraße unterschrieben hat. Beim
Prekarium handelt es sich um
eine Sonderform der Leihe,
der Verleiher kann die Sache
jederzeit nach Willkür zurückfordern. „Das heißt, wir zahlen
rea Kuen (3.v.r.) wéllen den Betroffenen helfen.
‚ Die Menschen
kommen nach
Tirol, weil sie in ihrer
Heimat oft ein Umfeld
zu versorgen haben.“
Andrea Kuen
(Freiwillige)
nichts, kommen aber für die
Betriebskosten auf und wenn
der Abrissbescheid kommt,
gehen wir wieder hinaus.“
Die Vinzenzgemeinschaft
Waldhüttl betreibt ein ähnliches Projekt in Mentlberg, wo
ebenfalls 30 Armutsmigranten
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Unterschlupf gefunden haben. „Es gibt dafür weder Subventionen vom Land noch von
der Stadt.“
In der Leopoldstraße werden
die Bewohner von engagierten
Freiwilligen unterstützt, eine
von ihnen ist Andrea Kuen: „Es
handelt sich um Familienverbände, die versuchen zu überleben. Die Menschen kommen
nach Tirol, weil sie in ihrer
Heimat oft ein Umfeld haben,
das sie versorgen müssen“, erzählt sie über ihre Arbeit mit
den „Notreisenden“, wie Windischer die Migranten aus Ru-
g gestellt. Jetzt müssen die Bewohner unerwartet schnell ausziehen.
mänien nennt. Die Bewohner
arbeiten oft in Gelegenheitsjobs, verkaufen die Zeitung
„20er“ oder verdingen sich als
Erntehelfer, Putzkraft, Musiker oder Schausteller. „Viele
sind auch Analphabeten, was
die Arbeitsmöglichkeiten erschwert“, weiß Kuen.
Im Haus in der Leopoldstraße werde ein hohes Maß
an Selbstverwaltung gepflegt,
betont Windischer. „Das hier
soll eine Basis sein, damit man
sein Leben verbessert. Wir machen aber immer klar, dass die
Herberge nur eine Zwischenlösung sein kann, und versuchen, auch Bewusstseinsbildung zu betreiben. Ziel
sollte letztlich eine geregelte
Arbeit und eine eigene Wohnung sein.“
Wie es nun weitergeht, weiß
der Vereinsobmann noch
nicht. „Ich habe schon überall angerufen und angefragt“,
zeigt er das Dilemma auf. Auch
der ressortzuständige Vizebürgermeister Georg Willi hat
seine Unterstützung angekündigt. „Ich habe letzte Woche
bereits den Chef der Innsbrucker Immobiliengesellschaft
angerufen und angefragt, ob
wir ein schnelles Quartier anbieten können. Derzeit sind
wir noch auf der Suche“, erklärt Willi gegenüber der Tiroler Tageszeitung und verweist
gleichzeitig auch auf die zwei
Notschlafstellen in der Stadt.
Einen Lichtblick gibt es zumindest für die betroffene Familie mit den beiden Kindern,
die heuer eingeschult bzw. im
Kindergarten aufgenommen
worden sind: „Der Bischof hat
mich angerufen und mir gesagt, dass er für diese Familie
eine Wohnung in Ranggen zur
Verfügung stellen kann“, freut
sich Windischer. (rena)