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Jahr: 2024
/ Ausgabe: 2024_12_4_Presse_OCR
- S.6
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Tiroler Tageszeitung
„Mit dem Zaun brachen Welten zusammen“, Seite 3
Mit dem Zaun brachen Welten zusammen
Nach dem Air+Style-Contest im Jahr 1999 am Innsbrucker Bergisel zerbirst eine Absperrung, Panik bricht aus. Sieben
Menschen sterben, viele kämpfen bis heute mit den Folgen des Unglücks. Und manche auch gegen das Vergessen.
Von Benedikt Mair
und Max Ischla
Innsbruck - Vom Fenster
des Klassenzimmers aus
sieht sie Woche für Woche, Tag für Tag den Ort, an
dem sich ihr Leben, das ihres Sohnes und der ganzen
Familie für immer verändert hat. Susanne Mayrhofer, 62 Jahre alt, eine quirlige Frau, ist Lehrerin an der
Pädagogischen Hochschule
Tirol und hat mit den ver-
die sich vor einem Vierteljahrhundert am Innsbrucker Bergisel abgespielt
haben, eigentlich Frieden
geschlossen. Aber jetzt,
kommt es zu tumultartigen Szenen, Panik bricht
aus, Mi en stürzen und
die jedes Familienmitglied
in dieser Zeit überrollte. „Es
ist wie in einem Tunnel“,
meint Mayrhofer. „Und du
werden von der nachdrü-
kı Masse begrab
Fünf Frauen im Alter zwischen 15 und 21 Jahren sind
sofort tot oder sterben auf
dem Weg ins Krankenhaus,
Zwei weitere Jahre später an
den Folgen des Unglücks.
38 er werden schwer
verletzt, mehrere von ihnen
bleiben Pflegefälle.
Wochenlang im Koma
Einer davon ist Susanne
Mayrhofers Sohn Wolfgang,
damals 15 Jahre alt. „Der 4.
n ber war eigentlich
ein total schöner Tag“, er-
rund um den Jahrestag des innert sich die Mutter. „Am
Unglücks, werden die Bil- Nachmittag sind wir mit under im Kopf serer Tochter
wieder in- langlaufen
tensiver. gegangen.
„Irgendwie Die beiden
dachte ich, Söhne fuhdass wir ren nach
im Prozess Innsbruck
der Auf- zum Event.“
arbeitung Ohne Streit,
viel weiter im Guten
sind“, sagt seien sie aus-
Mayrhofer. einanderge-
Dann stei- gangen. Ein
gen ihr Trä- Gedanke, der
nen in die Mayrhofer
Augen. z nach wie vor
N ‚ Ichu:erdelmWald jegendwie
Abend des spazieren und ganz — }ajt gibt.
4. Dezem- bewusst in mich gehen. „Später am
ber 1999 Sowie ich das immer Abend erfuhr
herrscht wieder einmal mache.“ ich dann
dichtes R n durch Zu-
Gedrän- K A fall aus den
ge im alten n aa Nachrichten,
Bergisel- dass sich am
Stadion. 20.000, 30.000 oder
45.000 Fans sind gekommen - wie viele genau, das
wird nie ganz geklärt. Sie alle wollten die halsi
Bergisel etwas Schlimmes
ereignet hat“, sagt sie. „Weil
keiner wusste, wo unser
Wolfi ist, habe ich die Spitäler im Groß: Innsbruck
Sprünge der Athleten bestaunen, Party machen, ein
Lebensgefühl feiern. Doch
abtelefoniert. An der Klinik
fanden wir ihn dann.“ Mehrere Wochen lang lag der
I diche na Ma
auf das hhafte Hoch
folgt ein unendliches Tief.
Nach Ende des Air+Style-
Snowboard-Contests und
noch vor der Siegerehrung
drängen Tausende zu den
Ausgängen. Beim Westtor
sammelt sich die Menge,
ein Absperrzaun zerbirst.
Auf dem schmalen Pfad
Tiefschlaf. Bangen, Hoffen,
die Suche nach Antworten
auf die Frage nach dem Warum. Eine Flut an Gefühlen,
schaust nur, dass du weiter-
läufst und funktionierst.“
Ihr Sohn überlebt, kommt
ins Krankenhaus Hochzirl,
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im Rollstuhl, wird ein Leben
lang beeinträchtigt bleiben.
Aber seine Mutter ist froh,
dass „ich ihn ül
beginnt die Reha. Wolfgang dem Unglück seien für ihn
Mayrhofer sitzt immer noch
besonders schlimm gewesen, sagt Andrew Hourmont.
Er hat das Air+Style erfunden, veranstaltet, war sein
Gesicht, Und auch das Gesicht der Tragödie. Anschul-
rungen zu lasch. Hourmount
kennt jeden dieser Vorwür-
fe. Fast wäre
er daran zer-
mich gehen. So wie ich das
immer wieder einmal mache.“ Mit dem, was im Winter 1999 passiert ist, hat sich
weil ich das Unglück nicht
auf einen Tag beziehe. Es ist
vielmehr ein Teil meines Lebens, mit dem ich klarkommen muss.“ Jede Stunde, jede Minute, jeden Bruchteil
einer Sekunde.
brochen. „Ich Strafbin in das viel rechtliche
zitierte schwar- Konseze Loch gefal- quenzen
len“, sagt der gibt es für
58-Jährige, der ihn nicht.
sich zurück- Auch alle
gekämpft hat. anderen
Auch wenn auf — Angeklagewig Narben Y ten werbleiben. den freige-
Der gebürtige sprochen.
Waliser blickt Der letzte
nach mehreren 2 PE Prozess
Jahren in Kenia ’‚ 25 ir W|{:htxg‚ endet im
wieder nach an das zu erinnern, yahr 2005.
vorne, in Rich- Was passiert ist. Weil Als Foltung Events. Wwir Menschen aus Feh- ge der Er-
Und damit auf [ern lernen können.“ eignisse
seinen Schick- SS wird die
salsberg: den dn Zahl der
Bergisel. Dort, sr S Zuschauan der Ge- er für das
b ätte des Kul Skispringen erst auf 25.000
am Schauplatz der bis heu- reduziert, mit dem dann folte nachwirkenden Tragödie, genden Umbau des Stadions
solles Ende 2025 oder Anfang gar auf 22.500. Neue Sicher-
2026 zu einem Veranstaltungs-Comeback kommen.
„Wenn alles klappt, wird es
an den zwei Wettkampftagen
Big-Air-Weltcups im Snowboard und Freeski geben.“
Dass das sportive Treiben in
entsprechend hochklassige
Music-Acts eingebettet wäre,
ist bei ihm gewissermaßen
Programm. „Wir wollen der
Jugend den coolsten Tag bescheren.“
„Ein Teil meines Lebens“
Zum Jahrestag wird Hourmont nicht an den Ort des
Unglücks zurückkehren.
„Ich werde im Wald spazieren und ganz bewusst in
auch bei anderen Veranstaltungen wird diesem Thema
seither mehr Beachtung geschenkt. Stadt Innsbruck,
Land Tirol und Unigqa-Versicherung einigen sich mit den
Opfern auf eine Schadenersatzzahlung von 10,7 Millionen Euro.
Bis um halb fünf Uhr wird
Susanne Mayrhofer heute unterrichten. „Danach
schaue ich auf meine Enkelkinder, meine Tochter hat
mich darum gebeten.“ Am
Bergisel sei vor 25 Jahren
„ganz viel danebengegangen. Aber es ist jetzt, wie es
ist. Und es ist mir wichtig, an
das zu erinnern, was passiert
ist“, sagt Mayrhofer. Warum?
„Weil wir Menschen aus den
Fehlern der Vergangenheit
auch immer lernen können.“