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Jahr: 2025
/ Ausgabe: 2025_01_28_Presse_OCR
- S.4
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Von Michael Domanig
Innsbruck —- Gestern, am Internationalen Holocaust-
Gedenktag, wurde im Innsbrucker Landhaus eine neue
Sonderausstellung zu Leokadia Justman (1922-2002) eröffnet. Sie hat als polnische Jüdin
in Tirol und Salzburg das systematische Morden überlebt.
Ihr autobiographischer Bericht, ein einmaliges historisches Dokument, ist nun erstmals auf Deutsch erschienen,
herausgegeben von Niko Hofinger und Dominik Markl.
Justmans Geschichte ist
unfassbar: 1922 in eine pol-
Tiroler Tageszeitung
„Dokument des Überlebens“, Seite 3
Die privaten Aufnahmen zeigen Leokadia Justman um 1930 mit ihrer Mutter Sofia, die 1942 in Treblinka ermordet wurde (1), am Grab ihres Vaters Jakob am Innsbrucker Westfriedhof (2) - er wurde 1944
im Lager Reichenau getötet - und 1946 bei ihrer Hochzeit mit Jözef Wisnicki in Innsbruck.
Dokument des Überlebens
Leokadia Justman (1922-2002) hat als polnische Jüdin in Tirol den Holocaust überlebt - auch dank mutiger
HelferInnen. Ihr einzigartiger Bericht liegt nun auf Deutsch vor, im Landhaus gibt es eine Sonderschau dazu.
, , Meine Mutter hätte
sicher nie gedacht,
dass ihre Geschichte so
viele Jahre später auf
diese Weise wieder zum
Leben erweckt wird.“
Jeffrey Wisnicki
(Sohn von Leokadia Justman)
nisch-jüdische Familie geboren, beginnt für sie und ihre
Familie nach dem Überfall
Nazideutschlands auf Polen
eine Odyssee, die sie durch
mehrere Ghettos führt. Ihre Mutter Sofia wird nach
Treblinka deportiert und
dort 1942 ermordet. Leokadia
schlägt sich - nach der Flucht
aus dem Ghetto von Piotrköw
— im März 1943 mit ihrem Vater Jakob bis Tirol durch.
Dort geben sich beide unter
falschem Namen als polnische
Fremdarbeiter aus - Leokadia
als „Lotte Gralinska“, ihr Vater
als ihr vermeintlicher älterer
Bruder Jan. Leokadia arbeitet
zunächst in einem Wirtshaus
in Seefeld, später bringt ihr Vater sie in einer Textilfabrik in
Innsbruck unter, wo er selbst
Arbeit gefunden hat.
Verhaftung und Ausbruch
So überstehen sie unter ständiger Gefahr rund ein Jahr,
ehe sie zusammen mit weiteren aus Polen geflüchteten Juden auffliegen. Nach der Verhaftung im März 1944 kommt
Jakob Justman ins Gestapo-
Lager Reichenau, wo er am 24.
April 1944 ermordet wird. Leokadia und ihre Freundin Marysia Fuchs werden im Polizeigefängnis beim Innsbrucker
Bahnhof festgehalten.
Ständig droht die Deportation in eines der NS-Vernichtungslager, die beiden Frauen finden in Tirol aber auch
Hilfe. Am 18. Jänner 1945 gelingt Justman und Fuchs der
Ausbruch aus dem von einem
Bombenangriff teils zerstörten
Gefängniskomplex.
Mut in finsteren Zeiten
Im Saggen machen sie den ihnen bekannten Polizisten und
NS-Gegner Rudl Moser ausfindig, der sie bei seiner Bekannten Marianne Stocker unterbringt. Danach finden die
Frauen Unterschlupf bei Maria und Wanda Petrykiewicz,
Sichtlich ergriffen begrüßte LH Anton Mattle (3. v. r.) Leokadia Justmans
Sohn Jeffrey Wisnicki (2. v. I.) und dessen Familie im Landhaus. Foto: Springer
Der nun erstmals auf
Deutsch vorliegende Überlebensbericht - 1946 erschienen
Passagen in einer polnischen
Exilzeitschrift, 2003 posthum
eine stark gekürzte Version
in den USA — sei in vielerlei
Hinsicht einzigartig, betont
Dominik Markl, einer der Herausgeber: „Es ist die einzige
literarische Darstellung einer
Holocaustüberlebenden aus
Tirol. Eine junge Frau schildert
hier ihr eigenes Erleben. Zudem entstanden die Aufzeichnungen bereits 1945/46, also
unmittelbar nach dem Krieg.“
h extrem akkurat“
ebenfalls Regimegegnerinnen
Mit erneut gefälschten Dokumenten — auch hier hilft ein
Polizist - gelangen sie schließlich, als Dienstmädchen, in
den Pinzgau, wo sie die letzten
Kriegswochen überleben.
Nach Kriegsende wird Justman in Innsbruck Sekretärin des jüdischen Komitees
am Adolf-Pichler-Platz. Sie
lernt ihren Mann Jözef Wisnicki kennen, der in Vorarlberg
überlebt hat. 1946 heiraten sie.
Einige Jahre später emigriert
das Ehepaar nach New York
— Leokadia heißt dort nun Lorraine Justman-Wisnicki - und
gründet eine Familie.
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Zugleich habe sich nach intensiver Überprüfung gezeigt,
dass die enthaltenen historischen Informationen, abgesehen von einigen kleineren
Fehlern, „extrem akkurat“ seien. So ist der Bericht u.a. die
wichtigste Quelle zu acht Tiroler Helfern, fünf Polizisten
und drei Frauen, die seit 1980
in Yad Vashem als „Gerechte
unter den Völkern“ gewürdigt
werden. Unfassbar spannend
geschrieben sei das Ganze
obendrein, ergänzt Markl.
Die Sonderausstellung im
Landhaus wurde gestern
Abend im Beisein von Just-
mans Sohn Jeffrey Wisnicki
und seiner aus den USA angereisten Familie eröffnet.
Mit dabei war auch Zeitzeuge Martin Thaler, der die Aufmerksamkeit der heimischen
Forschung erst auf Justmans
Geschichte lenkte. Die Präsentation mit bisher unbekannten Bildern, einem Modell des
einstigen Polizeigefängnisses
und einem interaktiven Stadtplan ergänzt nun die Rahmenausstellung „Vom Gauhaus
zum Landhaus“, die — in gestraffter Form — weiter zu sehen ist. Die Sonderausstellung
läuft bis 26. Oktober (Mo. bis
Fr. von 9 bis 17 Uhr) - symbolträchtigerweise im einstigen
„Gauleiter-Hofer-Zimmer“,
also an einem zentralen Ort
der Tiroler Tätergeschichte.
Buchtipp
Der Überlebensbericht „Brechen
wir aus!“ von Leokadia Justman ist
im Tyrolia-Verlag
erschienen. Buchpräsentation am
Di. 4. Februar, 18
Uhr, Rathaus Innsbruck (6. Stock,
Plenarsaal).
Foto: Tyrolia-Verlag