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Kurier

„Wer die Trümpfe im ESC-Poker hat‘“, Seite 7

Wer die Trümpfe im ESC-Poker hat

Wien vs. Innsbruck. Der ORF verhandelt geheim mit beiden Bewerbern - und versucht dabei, möglichst viele Kosten an die
Städte abzuwälzen. Kopfzerbrechen bereiten so manchem die weiten Wege nach und die Hotelzimmer in Innsbruck.

Von Christoph Schwarz

Hintergrund

Erst vor wenigen Tagen hat
der Innsbrucker Gemeinderat
seinen politischen Segen zur
Bewerbung um den Europäischen Song Contest (ESC) gegeben. Jetzt werden erste kritische Stimmen laut, die
fürchten, dass die Tiroler Landeshauptstadt dem Event gar
nicht gewachsen wäre. Vor allem mit Blick auf die Infrastruktur gibt es Bedenken.

Neben Innsbruck bemüht
sich auch Wien, das den ESC
zuletzt 2015 austrug, um die
Großveranstaltung. Derzeit
laufen die Detailverhandlungen mit dem ORF, der letztlich
die Entscheidung trifft. Details
sind (zumindest offiziell) wenige bekannt. Für die Bewerber gilt eine strenge Geheimhalteklausel — manche nennen
sie „Knebelvertrag“ —, weswegen der Gemeinderat in Innsbruck auch in geheimer Sitzung tagte.

Wer hat die größere Halle?
Auch sonst wagt sich kaum jemand aus der Deckung. Aber:
So manche Tourismus- und
Eventexperten sehen eine Austragung des ESC in Innsbruck
durchaus skeptisch. Die erwarteten Besuchermassen aus
ganz Europa könnten die lokale Infrastruktur an die Belastungsgrenzen bringen.

Bei der Veranstaltungshalle kann man mit Wien
(fast) noch mithalten. Für
den ESC benötigt man eine
Halle für mindestens 10.000
Besucher. In die Innsbrucker
Olympiahalle passen bis zu
12.000 Menschen — demgegenüber steht in Wien mit
der Stadthalle Österreichs
größte Location ihrer Art.

Conchita brachte mit dem Sieg beim Song Contest 2014 das Mega-Spektakel im Folgejahr nach Wien. Wo wird dieses Jahr gefeiert?

Fassungsvermögen: 16.000.
Sie sei eine der „Trumpfkarten“ der Bundeshauptstadt,
sind manche überzeugt.

Weiter auseinander liegt
man schon bei den verfügbaren Betten in der Hotellerie.
Hier sehen Tourismusexperten
einen Knackpunkt: Die Stadt
Innsbruck verzeichnete im
Jahr 2023 nach eigenen Angaben 9.105 Betten. In Wien sind
es 82.000 Betten in Hotels aller Kategorien. Gerade die Verfügbarkeit billig(er)er Unterkünfte ist beim ESC, der sich
als inklusive Veranstaltung
versteht, ein Asset.

Zu bedenken sei, merken
Kritiker an, dass ein Gutteil
der 9.000 Betten in Innsbruck
wohl gar nicht für die eigentlichen Besucher zur Verfügung
stünde. Der ESC-Tross der EBU

(der Europäischen Rundfunkunion) müsse ebenso untergebracht werden wie die Künstler, ihre Entourage und Medienvertreter. Gut möglich,
dass mancher Fan durch die
Finger schaut — und sich im
Tiroler Umland nach einem
Zimmer umschauen muss. (In
ganz Tirol gibt es dafür rund
340.000 Betten.)

Unklar ist der Termin des
ESC-Finales - zwei Wochenenden stehen zur Auswahl: jenes
vom 16. Mai sowie jenes vom
23. Mai. Bei beiden handelt es
sich um sogenannte „lange
Wochenenden“ — Christi Himmelfahrt und Pfingsten. Die
Verkehrslage auf den Straßen
ist da erwartungsgemäß auch
ohne ESC angespannt, was
Wien-Unterstützer als weiteres Argument für sich verbu-

chen. Wien sei per Bahn und
Flugzeug (mit Direktflügen in
derzeit 65 Länder) deutlich
besser angebunden.

Anekdote am Rande: Bekäme Innsbruck den Zuschlag
für das Wochenende um den
17. Mai, böte dies wohl ein interessantes Bild. Da findet hier
das Alpenregionstreffen der
Schützen unter dem Motto:
„Miteinander für unsere Heimat!“ statt. 10.000 Schützen
werden erwartet, geplant ist
eine Schützenparade durch
die Innsbrucker Innenstadt.

Dass man in Tirol Erfahrung mit (sportlichen) Großevents — von Olympischen
Spielen bis zur Rad-WM - hat,
das muss freilich erwähnt werden. Den ESC hat bisher aber
nur Wien erfolgreich über die
Bühne gebracht, wo derzeit

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eine alte Umfrage die Runde
macht. 2015 befragte man
ESC-Journalisten zu ihrer Meinung über die Wiener Performance. 79 Prozent bewerteten
ihn „besser“ oder „viel besser“
als vorangegangene ESC.

Viel Taktik im ORF
ORF-Generaldirektor Roland
Weißmann spricht von zwei
„spannenden und vielversprechenden Bewerbungen“ — und
lässt keine Präferenz durchklingen. Klar: Der ORF — der
schon erste Begehungen in der
Stadthalle und der Olympiaworld durchgeführt hat — will
sich nicht in die Karten blicken
lassen. Denn das Ringen um
den ESC ist vor allem auch ein
Finanz-Poker.

Der ORF will so viele Kosten wie möglich an die Städte

auslagern. Dass die Verhandlungen geheim vonstattengehen, hilft dem ORF, den Preis
für beide Städte immer mehr
in die Höhe zu treiben. Sowohl
Innsbruck als auch Wien planen mit einem Budget von
rund 20 Millionen Euro. Ein
Vergleich: Der ESC in Basel
hat 64 Millionen Euro gekostet, wobei die Stadt 37,7 Millionen Euro beisteuerte.

Vor allem das genannte
Thema der Logistik und Infrastruktur scheint auch manchem im ORF selbst Kopfschmerzen zu bereiten. Er betreibt zwar ein Landesstudio
vor Ort, müsste für die ESC-
Berichterstattung jedoch mit
dem großen Gerät aus Wien
anreisen. Nicht zuletzt ein weiterer Kostenfaktor.

Ein Wörtchen mitzureden
hat letztlich auch noch die
EBU, die sich stets international attraktive Austragungsorte
wünscht. Wien muss sich um
dieses Asset keine Sorgen machen; Innsbruck freilich auch
nicht. Dort wirbt man nicht zuletzt mit der Nähe zu München, Zürich und Mailand.

Politisch ist der ESC in
Innsbruck umstrittener als in
Wien. Im Innsbrucker Gemeinderat fand sich eine knappe Mehrheit für die Bewerbung, die Opposition übt Kritik an den Kosten. Im Gemeinderat in Wien sprach sich nur
die FPO gegen die Austragung
aus. Neben Rot-Pink sind auch
Grüne und OÖVP an Bord, wobei Letztere auf den Schuldenstand der Stadt verweist.

Die finale Entscheidung
über den Austragungsort hätte
eigentlich am 8. August fallen
sollen. Mittlerweile hat der
ORF diese Deadline gekippt. In
der zweiten Augusthälfte soll
es so weit sein. Ein paar Pokerrunden stehen also noch an.