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Tiroler Tageszeitung

TirolerseTageszeitung

„Blick in historische Adressbücher offenbart Innsbrucker Geschichte“,

Seite 16
9.1.2022

Blick in historische Adressbücher
offenbart Innsbrucker Geschichte

Suchen und staunen: Wie viel scheinbar unbedeutende alte Adressbücher über das städtische

Leben von früher preis

Von Michaela S. Paulmicht

Innsbruck — Über 300.000
Aufrufe gleich nach dem
Start: Die Digitalisierung
der Innsbrucker Adressbücher von 1897 bis 1976 traf
offensichtlich den Nerv
der Zeit, wie Stadtarchiv-
Direktor Lukas Morscher
meint. Denn während der
Ausgangsbeschränkungen
bleibt genügend Zeit zum
ausgiebigen Stöbern oder
auch gezielten Suchen in
Nachschlagwerken. Möglich wurde das, weil auch
der Innsbrucker Forscher
und Programmierer Niko
Hofinger die Lockdowns
in den vergangenen eineinhalb Jahren nutzte. Er
nahm sich Buch für Buch
vor - manche haben rund
1000 Seiten —, um die Unmenge an Daten für Familienforscher und andere
historisch Interessierte auf
leicht handhabbare Weise
nutzbar zu machen. Wer
wie er in Aufzählungen
von Namen, Berufen und
Adressen viel mehr sehen
kann als nur eine Aneinanderreihung scheinbar
unbedeutender Hinweise,
kann entdecken, wie viele
Informationen zwischen
den Zeilen zu finden sind,
wenn man genauer hinsieht, und wie viel sie über
vergangene Tage verraten.

Doch die Vorarbeiten
gehen noch viel weiter zurück: Der Historiker und
Projekt-Mitarbeiter beim
Stadtarchiv, Peter Helfer,
benötigte zehn Jahre, um
die sich im Laufe der Zeit
ändernden Straßennamen und Hausnummern
den entsprechenden Gebäuden zuzuordnen. In
Innsbruck gab es einst
nur Nummern, zum Bei-

Niko Hofinger hat die historischen Innsbrucker Adressbücher digitalisiert.

spiel Hötting Umgebung
59 - das könnte heute vielleicht in der Höhenstraße,
aber auch in Kranebitten
sein. Hofinger: „In einer
größeren Stadt als Innsbruck wären wir damit
gar nicht mehr fertig geworden. Eines der Häuser brachte es im Lauf der
Jahre auf sieben verschiedene Adressen!“ Die heutige Franz-Fischer-Straße
hieß einmal Fischerstraße,
dann wieder Fischergasse.

Insgesamt 48 Adressbücher mit rund 22.000
Seiten aus dem 19. und
20. Jahrhundert sind nun
so aufbereitet, dass nach
Personen, Häusern oder
Betrieben gesucht werden kann. Rund 500.000
Aufrufe wurden zuletzt
bereits gezählt. Hofinger:
„Die meisten suchen zuerst nach ihren eigenen
Familiennamen - etwa um

geben können, z

"Emmnm 41{

herauszufinden, wann die
Vorfahren in die Stadt gekommen sind. Wir haben
auch Rückmeldungen,
dass Verwandte gefunden
wurden, von denen man
bisher gar nichts wusste.“
Die aufbereitete Homepage macht Suchen wie
diese viel leichter, solche
Daten zu bekommen, war

‚ ‚ Wer genau
hinsieht und

vergleicht, entdeckt

einen Mikrokosmos

vieler spannender
Geschichten.“

Niko Hofinger

(Stadtarchiv) — Foto: Pautmichl

Seite 3 von 7

Foso: Pautmich!

bisher mit großem Aufwand verbunden. Die
Übersicht des Stadtarchivs
ist deshalb einzigartig im
deutschsprachigen Raum.
Die Vorläufer des Telefonbuchs waren auch eine Art „Who’s Who“ von
damals, denn nicht jeder
schaffte es, genannt zu
werden. Das war Beamten,
Eisenbahnern, Lehrern
oder dem Militär vorbehalten. Dienstboten oder
Arbeiter waren nicht wichtig genug. Auch über das
Frauenbild sagen die alten Blätter viel aus, nur ein
Drittel sind Frauennamen.
Das sei ein Grund dafür,
dass das Projekt den Namen Innsbrucker*innen
und die Domain die Bezeichnung innsbruckerinnen.at bekam. Männer
seien da ohnehin überrepräsentiert, heißt es, deshalb also „mitgemeint“.

eigt ein neues Projekt des Innsbrucker Stadtarchivs.

Auch über die Migrationsgeschichte türkischer
oder jugoslawischer Gastarbeiter ist viel herauszulesen, ihre Namen tauchen das erste Mal in den
1970er-Jahren auf. Die Adressbücher dokumentieren aber auch die Entwicklung mancher Berufe: „die
Näherinnen, Schuhmacher oder Krämer — es ist
interessant zu verfolgen,
wann sie auftauchen und
wieder verschwinden“.
Die Wirtschaftsgeschichte der Stadt spiegelt sich
in Informationen wider
— wie lange Firmen existierten, wie sich Branchen
wandelten, wenn etwa der
Fiaker zum Kutscher wurde und der Firmennname später als Taxi- oder
Transportunternehmen
auftaucht. Hofinger: „Wer
genau hinsieht und vergleicht, entdeckt einen
Mikrokosmus spannender
Geschichten.“ Karten zeigen nicht nur das Wachsen der Stadt, sondern
auch, welche Häuser etwa
besonders von Bombentreffern betroffen waren.

Wie viel die scheinbar
harmlosen Namenreihen
offenbaren, zeigt das Verschwinden jüdischer Namen: So lebten etwa 1938
an einer Adresse in der
Gänsbacherstraße eine
Familie Bauer und eine
Familie Graubart, ab 1940
war dort die Sparkasse der
Stadt Innsbruck als Besitzer eingetragen, die in
dieser Zeit als Zwischen-
Ariseur auftrat. Unter
Rennweg 10, wo der Cafetier und Branntweinfabrikant Schindler wohnte,
ist nach der Vertreibung
der Familie 1938 Gauleiter
Franz Hofer zu lesen.