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Jahr: 2022
/ Ausgabe: 2022_01_11_Presse_OCR
- S.7
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Der Standard
„Flüchtlingscamp entschärft Lage an bosnischer Grenze“, Seite 8
11.1.2022
Flüchtlingscamp entschärft Lage an bosnischer Grenze
Nach wie vor campieren Geflüchtete im Wald, weil sie näher an der kroatischen Grenze sein wollen
Johannes Pucher aus Bihac
neun Grad zeigt ein Schild am
Straßenrand an. Hier, in den
bosnischen Wäldern entlang der
EU-Außengrenze, leben auch im
Jahr 2022 Flüchtlinge und Migranten - auch wenn ein neues Camp die
Lage erheblich entschärft.
„Es ist ein Armutszeugnis“, sagt
Andreas Babler, der Bürgermeister
(SPÖ) von Traiskirchen, mit Blick
Richtung angrenzendes Kroatien.
Für viele hier ist es aufgrund der gewaltsamen und illegalen Pushbacks
durch die kroatische Polizei unerreichbar. Babler und der Grazer
KPÖ-Gemeinderat Horst Alic sind
gekommen, um den Bürgermeister
von Bihac zu treffen. „Wir kennen
das Gefühl, alleingelassen zu werden“, sagt Babler in Anspielung auf
die Flüchtlingssituation rund um
das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Er hat einen Rettungswagen
des Samariterbundes Traiskirchen
mitgebracht, um ihn der Stadt Bihac
zu schenken.
E s ist eiskalt in Bihac. Minus
„Das kommt genau richtig“, bedankt sich Bürgermeister Suhret
Fazlic bei einem Empfang im Rathaus: „Zwei Jahre hat unsere Regierung in Sachen Migranten nichts
unternommen.“ Merklich verbessert
habe sich die Situation erst, nachdem
im letzten Winter die Zelte des alten
Flüchtlingslagers Lipa abgebrannt
sind. Bilder von frierenden Menschen im Wald gingen um die Welt.
Neues Camp
Im November 2021 wurde ein
neues Camp eröffnet, finanziert von
der EU und einzelnen Mitgliedsstaaten. Das österreichische Innenministerium hat eineinhalb Millionen
Euro gespendet. Wie es den Menschen in dem Camp, in einem Wald
rund 25 Kilometer vom Zentrum
von Bihac entfernt, geht, ist schwer
einzuordnen. Besucher werden von
der Polizei begleitet.
Eine Verbesserung zur Situation
im Vorjahr ist es jedenfalls. Die Menschen schlafen in beheizbaren Containern mit gesicherter Strom- und
Wasserversorgung. Geführt wird das
Camp von der bosnischen Polizei gemeinsam mit der Internationalen
Organisation für Migration (IOM).
Es bietet Platz für rund 1300 Menschen, aktuell leben 345 Menschen
hier. Die meisten von ihnen sind alleinstehende junge Männer aus Pakistan und Afghanistan. „Niemand
muss mehr im Wald schlafen“, sagt
Laura Lungarotti, die Leiterin der IOM-
Mission in Bosnien-Herzegowina.
2349
Flüchtlinge sind aktuell in
bosnischen Flüchtlingslagern
von IOM untergebracht.
Und doch tun es nach wie vor einige. Laut IOM haben Mitte Dezember rund 400 Menschen außerhalb des Camps geschlafen. Hinter
einem abgebrannten Häuschen auf
einem Fabrikgelände sitzt eine
Gruppe junger Männer rund um eine
Metalltonne mit einem Lagerfeuer.
30 bis 40 Menschen schlafen hier, erzählen sie,
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Warum sie nicht ins Camp Lipa
gehen? „Weil von dort der Weg bis
zur Grenze sehr weit ist“ sagen
mehrere. Sie alle wollen in die EU,
das „Game“ gewinnen, wie sie das
Katz-und-Maus-Spiel mit der kroatischen Polizei nennen. Manche haben es schon 20- bis 30-mal versucht. Viele sagen, sie seien verprügelt worden.
„Bosnien ist kein Transitland
mehr wie 2016. Die Menschen sitzen
hier fest“, sagt Lungarotti. Das Land
müsse sich von Notfallhilfe auf langfristige Konzepte umstellen. „Nur
ist das nicht so leicht in einem Staat,
der weitgehend nicht einmal für seine eigenen Bürger funktionsfähig
ist.“
„Wir verstehen die Migranten,
weil wir selbst einen Krieg erlebt haben“, sagt Bürgermeister Fazlic beim
Mittagessen mit Andreas Babler und
Horst Alic. Es soll bald ein weiteres
Treffen in Bihac geben, bei dem
auch der Innsbrucker Bürgermeister
Georg Willi dabei sein will. „Wir
werden helfen. Es gibt keinen anderen Weg“, sagt Babler.