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Jahr: 2022
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Tiroler Tageszeitung
„Erinnern und aufarbeiten seit drei Jahrzehnten“, Seite 24
Erinnern und aufarbeiten
seit drei Jahrzehnten
Rund 1300 Gedenkdiener leisteten seit 1992 in Holocaust-Gedenkstätten
und Museen ihren Dienst. Begründet wurde diese Initiative in Tirol.
Von Johanna Muro
Innsbruck - Am 1. September
1992 trat der erste Freiwillige aus Tirol seinen Wehrersatzdienst in Form eines
„Gedenkdienstes“ an - und
zeigte damit: Auch Österreich trägt Verantwortung
für die Verbrechen der Nationalsozialisten und die stete Erinnerung daran. Genau
dafür stehen die Freiwilligen
im österreichischen Gedenkdienst seither ein. Anlässlich des 30-Jahr-Jubiläums
wurden die Tiroler Initiatoren des Gedenkdienstes —
Andreas Maislinger, Walter
Guggenberger und Andreas
Hörtnagl — diese Woche von
BM Georg Willi im Innsbrucker Bürgersaal geehrt.
Der Innsbrucker Politikwissenschafter Andreas
Maislinger, der ursprünglich aus dem Raum Salzburg
stammt, reiste 1976 während
des Studiums erstmals ins
ehemalige Konzentrationsund Vernichtungslager
Auschwitz-Birkenau —- eine
Erfahrung, die ihn bis heute
prägt: „Auschwitz ist österreichische Geschichte. Ich
habe sofort gewusst, dass ich
dort etwas machen möchte,
nämlich den Zivildienst“, erzählt Maislinger.
Zu dieser Zeit herrschte
noch die Opferthese über
Österreichs Rolle im Nationalsozialismus vor, die einem solchen Zivil- und Gedenkdienst im Wege stand.
Erst mit dem einsetzenden
Paradigmenwechsel in dieser Hinsicht kam es 1991 zur
Änderung des Zivildienstgesetzes, bereits ein Jahr später wurde der Gedenkdienst
ins Leben gerufen. „Damals
konnte man nur durch die
Gründung eines Vereines etwas erreichen —- also haben
wir uns zu dritt zusammengetan und den Gedenkdienst
gemeinsam aufgebaut“, erin-
Im Einsatz gegen das Vergessen - die Gründer des Gedenkdienstes Walter Guggenberger (links), Andreas Hörtnagl (Mitte) und Andreas Maislinger (2.v.r.) mit den ehemaligen Gedenkdienern Matthias Grafenauer (2. v. I.),
Nenad Ranisavljevic (4. v. I.), Jörg Reitmaier (3.v.r.) und Luka Mirceta (4.v. r.), Landtagspräsidentin Sonja Ledi-
Rossmann sowie Bürgermeister Georg Willi (rechts).
nert sich Mitbegründer Andreas Hörtnagl.
Wenige Jahre später wurde der Gedenkdienst mit der
Gründung des Österreichischen Auslandsdienstes um
einen Sozial- und Friedensdienst erweitert: Auslandsdiener aus ganz Österreich
werden jedes Jahr für bis zu
zwölf Monate in 50 Länder
auf allen Kontinenten entsandt und arbeiten dort an
verschiedenen Einsatzstellen wie Museen, Gedenkstätten, Schulen oder Hilfswerken.
„Mein Sohn Valentin Binder ist derzeit in Riga, Lettland, und arbeitet dort als
Gedenkdiener in einem Museum. Nach drei Wochen
intensiver Arbeit konnte er
dort bereits eine Innsbrucker Schulklasse durch das
Museum führen — die Aufarbeitung der osteuropäischen Geschichte ist für ihn
sehr spannend“, berichtet
Eva Binder, Mutter eines Gedenkdieners. Sie habe großen Respekt vor der Selbstlosigkeit und dem Mut der
jungen Auslandsdiener, sich
auf ein solches Erlebnis einzulassen.
„Als überkonfessionelle,
überparteiliche und staatlich geförderte Organisation
schafft der Gedenkdienst ein
besonderes Setting für junge Menschen aus Österreich
und führt sie an relevante
Orte der Geschichte“, meinte Dirk Rupnow, Dekan der
Philosophisch-Historischen
Fakultät der Uni Innsbruck,
beim Festakt. Auch BM Willi
betonte die bedeutsame Aufgabe: „Der Gedenkdienst soll
Fragen stellen, Antworten
suchen und aktiv erinnern.
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Foto: Johanna Muro
Junge Menschen leisten so
einen großartigen Dienst an
der Demokratie und an der
Menschheit.“
Das Angebot und die Initiativen des Österreichischen
Auslandsdienstes werden
übrigens konstant weiterentwickelt: „Wir haben noch
viele Ideen, zu Ende ist es
nach 30 Jahren Gedenkdienst noch lange nicht“, betont Maislinger.
Er würde etwa das Geburtshaus Hitlers in Braunau
am Inn gerne in ein „Haus
der Verantwortung“ umbauen, in das Menschen aus aller Welt eingeladen werden,
um die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufzuarbeiten. Außerdem steht im
Raum, einen Umweltdienst
zusätzlich zum bestehenden
Angebot aus Gedenk-, Sozial- und Friedensdienst einzuführen.