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Jahr: 2022

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Tiroler Tageszeitung

„‚Wie ein kleines Gesamtkunstwerk‘“ (Nachtrag vom 17. November 2022),

Seite 17

„Wie ein kleines
Gesamtkunstwerk“

Mit „Der Onkel“ debütiert Michael Ostrowski als
Romanautor. Den Film zum Buch gibt es bereits - und
Lob von Elfriede Jelinek. Die TT hat mit ihm gesprochen.

Quentin Tarantino hat zuerst „Es war einmal in Hol-
Iywood“ gedreht und dann
den Roman dazu geschrieben. Sie haben mit „Der Onkel“ das Gleiche getan.
Michael Ostrowski: Ich hab’
mir das Buch von Tarantino
sogar besorgt - und dann recht
schnell weggelegt. Nicht weil
ich es schlecht finde. Das ist
bei mir oft so. Auch im Theater, ich sitze da und finde das
Stück gut-und denk’ mir nach
20 Minuten: So, jetzt könnte
ich gehen — und was Eigenes
daraus machen. Gute Sachen,
auch Musik, sind immer ein
Anstoß, selbst etwas zu machen.
„Der Onkel“ wurde vom

Film zum Roman. Wie kam

es dazu?
Ostrowski: Ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte noch
nicht erledigt ist. Mit Helmut
Köpping habe ich jahrelang
an dieser Geschichte gearbeitet. Im Zentrum stand dieser
unberechenbare Typ, der, egal
Wo er auftaucht, etwas auslöst.
In der heutigen Zeit soll ja alles

möglichst vorhersehbar sein:
Die Guten sind gut, die Bösen
eben bös. Und von vornherein
ist alles klar: Das darf man, das
nicht. Wir wollten eine Figur
und Situationen schaffen, wo
man eben nicht weiß, was sein
darf.
Im Film und im Roman ist
dieser Onkel eine unmoralische Figur, die der Moral der
Geschichte auf die Sprünge
hilft.
Ostrowski: Er ist ein Katalysator. Wo er auftaucht, rührt er
um. Und auf seine Art befreit
er andere Figuren aus Situationen, in denen sie feststecken.
Ein Held?
Ostrowski: Ein Antiheld, einer,
der für das Rohe steht, für die
Liebe zur Natur, zu den Dingen und Menschen - auch
zum Alkohol.
Geplant war zunächst nur
der Film?
Ostrowski: Helmut und ich
wollten etwas Filmisches machen. Was genau, wussten wir
nicht: Serie oder Film? Kino
oder Fernsehen? Das ist nicht
ungewöhnlich. Gute Stoffe

bleiben - und irgendwann entscheidet es sich.
Den Film haben Sie gemeinsam geschrieben und inszeniert. Auf dem Buch steht
nur Ihr Name.
Ostrowski: Ich wollte es probieren. Helmut sagte: Go for
it. Wir haben alles vertraglich
geregelt. Auch beim Drehbuchschreiben war ich meistens der, der geschrieben hat.
Wir haben eng miteinander
gearbeitet, aber Helmut hat
mir vertraut, vor allem bei den
Dialogen wusste er wohl, dass
ich aus unserem Material etwas machen kann. Auch wenn
ich nicht immer wusste was.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihrer Arbeit
als Schauspieler und Ihrem
Gespür für gute Dialoge?
Ostrowski: Als Schauspieler
ist mir die Freiheit zur Improvisation wichtig, die Möglichkeit, intuitiv auf eine Situation
zu reagieren und im richtigen
Moment das Richtige zu machen. Das versuche ich auch
beim Schreiben. Ich spiele die
Dialoge beim Schreiben. Ich

spüre, was kommen muss. Dafür brauche ich die Vorarbeit,
ich muss mehr von den Figuren wissen als das, was ich für
die Szene brauche.

Elfriede Jelinek lobt „Der On-

kel“ als vielversprechend.
Ostrowski: Ist das nicht der
Hammer? Ich hab’ die Leute
im Verlag gebeten, ihr das Manuskript zu schicken. Sie haben
mir gesagt, ich soll mir keine
Hoffnungen machen. Und
dann: Dieser Satz! Das bedeu-

tet mir alles, weil sie verstanden hat, um was es mir geht,
weil sie den Humor verstanden
hat. „Der Onkel“ ist dreimal
bei der Filmförderung durchgefallen - wir haben den Film
unabhängig finanziert. Es gab
einen Gender-Report, der unserem Film „Hotel Rock’n’Roll“
(2016) Sexismus unterstellte.
Man fragt sich: Verstehen die

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nicht, was Humor und Ironie
ist? Jelinek, eine Frau, eine Feministin, aber eben keine humorlose, hat verstanden, um
was es mir mit dem Buch und
dem Onkel geht. Besser wird es
nicht mehr.

Und wie geht es mit dem

Onkel weiter?
Ostrowski: Keine Ahnung. Romaneschreiben ist billiger als
Filmemachen. Aber jetzt gehen wir erstmal auf Tour — alles soll ineinander übergehen,

Lesung und Livemusik — wie
ein kleines Gesamtkunstwerk.
Musik spielt auch im Roman
eine wichtige Rolle. Gleich
auf der ersten Seite werden
wichtige Songs aufgeführt.
Ostrowski: Dass die ganz vorne stehen, hat den einfachen
Grund, dass hinten kein Platz
mehr war. Aber das Buch ist
wirklich von Musik durch-

Foto: Filmladen

drungen. Beim Schreiben lief
immer Musik. Und bestimmte
Musik hat sich beim Schreiben
nach vorne gedrängt - und
den Text verändert. Der Bub
im Buch hört Yung Hurn,
das Mädchen Bilderbuch. Irgendwann fing ich an, deren
Textzeilen zu vermischen. Die
Beat-Poeten haben dieses Verfahren „Cut up“ genannt. So
entstand etwas Neues, eine
neue Form, die die Geschichte
in neue Richtungen lenkt.

Das Gespräch führte
Joachim Leitner

Roman Michael Ostrowski: Der
Onkel. Rowohlt hundert Augen.
319 Seiten, 24,70 Euro.

Lesung. Dienstag, 22. November,
in der Stadtbibliothek Innsbruck.
Beginn: 19 Uhr.