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Jahr: 2023

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Tiroler Tageszeitung

Von Michael Sprenger

s war vor mehr als 30 Jahren. Em-
E pörung im Hohen Haus. Die grüne

Abgeordnete Christine Heindl stillte
ihr Baby. Vor allem Männer sahen durch die
natürlichste Form der Nahrungsaufnahme
eines Kindes das Ansehen und die Würde
des Parlaments verletzt. Christine Heindl
sorgte auch außerhalb Österreichs für
Schlagzeilen. Ein spanisches Fernsehteam
widmete etwa der stillenden Abgeordneten
einen Beitrag. Dabei ging es aber nicht um
den „Skandal des Stillens“. In Spanien konnte man bloß nicht nachvollziehen, warum
das Stillen im öffentlichen Raum überhaupt
einen derartigen Wirbel auslösen kann.
Diese Woche wurde wieder das Ansehen

„Das Baby, der Anstand, die Politik‘“, Seite 2

Leitartikel

Das Baby, der Anstand, die Politik

Im Innsbrucker Gemeinderat vollzieht sich, was schon mehr als 30 Jahre zuvor im Nationalrat für Empörung gesorgt
hatte. Über Anstand und Würde in der Politik soll und muss man diskutieren. Ein Baby eignet sich dazu aber nicht.

des Parlaments strapaziert. Schauplatz war
dieses Mal der Innsbrucker Gemeinderat.
Schreiereien und eine Sitzungsunterbrechung waren die Folgen. Die grüne Gemeinderätin Janine Bex hatte bei der Sitzung ihr
Baby dabei. Und sie nahm einen Schluck
alkoholfreies Bier. Sie wurde dafür vom
politischen Gegner verbal attackiert.

Kann es wirklich sein, dass das Stillen in
der Öffentlichkeit und das Trinken eines
alkoholfreien Getränkes immer noch als
Provokation wahrgenommen wird? Ja. Doch
verletzt dies die Würde eines Parlaments?

In der Alltagssprache wird die Würde
weniger in einem philosophischen, wohl
aber in einem moralisierenden Zusammenhang verwendet. Im Sinne von „Das gehört
sich nicht“ wird so ein Urteil gesprochen.

Ja, man kann darüber trefflich streiten, ob
ein Schluck Mineralwasser, Fruchtsaft oder
alkoholfreies Bier in einem Gemeinderat
(oder im Landtag oder Nationalrat) statthaft
ist. Wenn man sich darüber empört, weil die
Mutterrolle einer Politikerin sichtbar wird,
dann sagt das weniger über die Mutter aus
als über jene, die sich echauffieren.

Doch - es lohnt schon die Auseinandersetzung, dann nämlich, wenn Würdenträger
und Würdenträgerinnen dem Parlament
Missachtung entgegenbringen. Wenn einst
ÖVP-Minister Gernot Blümel in türkisen
Socken und ohne Schuhe im Parlament auftrat, dann spürte man, welche Meinung er
gegenüber dem Gesetzgeber zum Ausdruck
brachte. Wenn Elisabeth Köstinger als Platzhalterin für Wolfgang Sobotka zur National-

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ratspräsidentin gewählt wurde, dann konnte
man schwerlich daraus eine Wertschätzung
für das Parlament ablesen. Wenn dann Debatten im Gemeinderat, im Landtag oder im
Parlament auch noch zur Pöbelei verkommen, freuen sich jene, die das Parlament
immer schon als Quatschbude bezeichnet
haben. Man soll also durchaus über Anstand
in der Politik diskutieren, aber ein Baby
hierbei als Anlass zu missbrau-

chen, ist eine intellektuelle
Fehlleistung.

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auf Seite 23

michael.sprenger@tt.com