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Jahr: 2023
/ Ausgabe: 2023_04_29_Presse_OCR
- S.7
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Tiroler Tageszeitung
„Ein lauter Arbeitsplatz mit Folgen“, Seite 16
Ein lauter
Arbeitsplatz
mit Folgen
Vom Hörsturz bis zum Tinnitus:
MusikerInnen wie jene des „Tiroler
Symphonieorchesters Innsbruck“
stehen unter großer Lärmbelastung.
Von Markus Schramek
Innsbruck — Als Konzertbesucher ist die Übung einfach: den auserwählten Sitzplatz aufsuchen, entspannt
zurücklehnen und klassische
Sinfonik genießen, strahlend und raumfüllend, aus 80
Instrumenten und mehr.
‚ Es hörte sich an,
als ob ich von
Presslufthämmern umgeben sei.“
Annedore Oberborbeck
(TSOI-Konzertmeisterin)
Vome auf dem Podium hält
sich der Genuss bei manch
Mitwirkendem in Grenzen.
Ein großer Klangkörper
wie das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck (TSOI)
ist, bei aller musikalischen
Qualität, auch eine dezibelträchtige Lärmquelle. Die
MusikerInnen sitzen mittendrin, Mit Folgen. „Fast alle
leiden unter der Lautstärke“,
berichtet Peter Polzer, Cellist
und Betriebsrat des TSO/.
„Fälle von Hörsturz und
Tinnitus sind auch bei uns
ein Thema“, sagt Polzer. Für
Orchestermusiker sei es unvermeidlich, großem Lärm
ausgesetzt zu sein: „Das gehört zu unserem Job.“ Besonders lautstark werde es,
„wenn man die Blechbläser
im Genick hat“, formuliert
es Polzer mit Humor. „Aber
auch Oboe oder Piccoloflöte
im Rücken haben es in sich.“
Das Thema sei Teil des
beruflichen Alltags, viel gesprochen werde im Kolleginnenkreis darüber allerdings
nicht. Polzer: „Jeder versucht eben auf seine Weise
damit fertigzuwerden.“ Eine
eigene Lärmzulage gebe es im
Gehaltsschema nicht.
TSO/-Konzertmeisterin
Annedore Oberborbeck ist
interne Chefin und Solo-Violinistin des Orchesters. Ihr
Stammplatz ist 1. Reihe außen, gleich neben dem Dirigentenpult. „Auf meiner
Position ist die Belastung
geringer“, konzediert Oberborbeck. Sie sei sich aber
bewusst, dass es in der Aufstellung des TSO! stark exponierte Sitzplätze gebe.
Die Konzertmeisterin verfügt über einschlägige Erfahrungen: „Bei meinem
früheren Orchester saß ich
in der Mitte. Es war links und
Ein großer und auch lautstarker Klangkörper: das „Tiroler Symphonieorchster Innsbruck (TSO!)* in voller Aktion.
rechts von mir so laut, dass
ich keinen einzigen eigenen
Ton mehr wahrnahm. Es
hörte sich an, als ob ich von
Presslufthämmern umgeben
sei.“
Konzertgäste würden „oft
darüber schwärmen, wie
schön der Musikerberuf“ sei,
sagt Oberborbeck. Die ho-
he Belastung sei vielen auf
den Rängen nicht bewusst.
Ihr eigener Befund fällt daher nüchtern aus: „Wir befinden uns an einem Lärmarbeitsplatz. Wir verrichten
Knochenarbeit, die nicht nur
musikalisch, sondern auch
körperlich sehr fordernd ist.“
Sehr fordernd und manchmal auch zu viel für den Körper: Der freiberufliche Cellist
Kaspar Singer weiß von einer
jungen Kollegin, „die nach
einem starken Hörsturz ein
Jahr außer Gefecht war und
sich mit viel Geduld zurückkämpfen musste“.
Besonders problematisch
befindet Singer, der immer
wieder beim TSO/ aushilft,
das Spielen in einem engen
Orchestergraben wie in jenem des Tiroler Landestheaters. „Es gibt wenig Platz
und viele Dienste, die Opern
dauer lange. Somit ist man
oft mehrere Tage hintereinander einem hohen Lautstärkepegel ausgesetzt.“
‚ Eine junge Kollegin
war nach einem
starken Hörsturz ein
Jahr außer Gefecht.“
Kaspar Singer
(Musiker)
Sein Gehör vor dauerhafter Schädigung zu schützen,
scheint angesichts solcher
Schilderungen dringend nötig. „Manche KollegInnen
verwenden einen speziellen
Gehörschutz“, erzählt Ober-
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borbeck. Sie selbst sei „allerdings noch am Überlegen“.
Aus diesem Grund: „Ich bin
mir nicht sicher, ob ich mit
Gehörschutz klanglich noch
alles hören kann.“
„Kann sie“, meint Hörakustikmeister Johannes Grimm
von „Gaertner Auditiv“ in
Innsbruck. Er zählt etliche
MusikerInnen zu seinen Kunden. „Mit einem Gehörschutz
nimmt man den gesamten
Klang wahr, jedoch leiser“,
erläutert Grimm. Technisch
bestehe ein solcher Schutz
aus zwei durchsichtigen
Ohrstöpseln aus Silikon, mit
eingebautem Filter. Kostenpunkt: rund 200 Euro pro
Stöpselpaar.
Der Innsbrucker HNO-
Arzt Thomas Rainer rät MusikerInnen zur Selbstbeobachtung. „Fühlt sich ein Ohr
nach dem Musizieren taub
an, vernimmt man ein Summen oder ein Geräusch, dann
Fr Ond/wehnt ar
war die Musik definitiv zu
laut.“ In diesem Fall sei es ratsam, über einen Gehörschutz
nachzudenken.
Gute Chance bei Hörstörung
Was plötzlichen Hörverlust
betrifft bzw. den bei MusikerInnen häufigen Tinnitus
(Pfeifen oder Rauschen im
Ohr), gibt Rainers Expertise
Anlass zur Hoffnung. Sämtliche akut auftretenden Formen von Hörverlust seien
„mit einer guten Prognose
versehen“. Soll heißen: Der
Hörverlust ist zwar äußerst
unangenehm, kann aber wieder verschwinden, ebenso
der Tinnitus. Niste sich dieser aber permanent im Ohr
ein, könne man lernen „das
Geräusch auszublenden“.
Rainer: „Das Gehirn ‚vergisst‘
dann das Störgeräusch, und
man hört es nicht mehr.“
Allen Betroffenen ist dies zu
wünschen.