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Jahr: 2023
/ Ausgabe: 2023_07_4_Presse_OCR
- S.4
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Gesamter Text dieser Seite:
Tiroler Tageszeitung
„Helmut Groschup 1954-2023“, Seite 12
!_——. Helmut Groschup
. 1954-2023
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Helmut Groschup hat das Innsbrucker Filmfestival
erfunden und beinahe drei Jahrzehnte geleitet.
Am 1. Juli ist er 68-jährig gestorben.
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Heimut Groschup wurde 1954 in Innsbruck geboren. Vonm 1992 bis 2019
leitete er das internationale Filmfestival Innsbruck.
Von Joachim Leitner
Innsbruck — Er hat sich nicht
ans Protokoll gehalten, damals
im April 2006 auf der Terrasse
der ivorischen Präsidentenresidenz etwas außerhalb der
Müllionenmetropole Abidjan.
Die Ansprachen waren zäh,
aber die Musik dazwischen
war gut. Also forderte Helmut
Groschup die First Lady des
westafrikanischen Landes zum
Tanz auf. Man sei schließlich,
Staatsempfang hin oder her,
auf einem Filmfest. Der Präsident war irritiert. Seine premigre dame — es gab, wird kolportiert, auch andere — tanzte.
Die Leibgarde in Galauniform
schwitzte. Kurz roch es nach
Rauswurf. Dann tanzten alle.
Der Empfang war vorbei. Die
Party hatte begonnen. Und
Groschup lächelte.
So hat sich die Geschichte
zugetragen — der Verfasser dieser Zeilen war dabei. Helmut
Groschup hat sie auch anders
erzählt. Und mit jeder Variation wurde die Geschichte wahrer. „Wenn einer geht, erzählen
die, die bleiben, Geschichten”, hat Helmut Groschup
2014 zum Tod von Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Märquez geschrieben. Und
als ihn 2017 die Nachricht vom
Tod des Viennale-Chefs Hans
Hurch erreichte, schrieb er,
dass ihn die meisten Nachrufe
ärgern, weil sie verschweigen,
worum es den Betrauerten zu
Lebzeiten wirklich ging. Darum etwa, dass Kulturarbeit
nicht gefördert, sondern finanziert werden soll. Das hat Groschup in beinahe jedem Interview, das er gab, unterstrichen.
Deshalb muss jetzt daran erinnert werden: Helmut Gro-
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schup ist gestorben — am 1. Juli
in München, wo er, der Filmfestivaldirektor im Unruhestand, das Filmfest besuchte.
Helmut Groschup ist tot. Der
Satz klingt falsch. Keine Variation vermag es, ihn wahrer zu
machen. Noch wenige Stunden vor seinem Tod schickte er
Anna Ladinig, die „sein” Festival, das Internationale Filmfestival Innsbruck (IFFI), seit 2020
leitet, Filmempfehlungen
1992 hat Groschup das IFFI
nicht etwa gegründet, sondern, darauf legte er Wert, „erfunden”. Bis 2019 hat er jedes
Jahr aufs Neue neu erfunden
— mit wechselnden Teams und
Schwerpunkten und der immergleichen Haltung: Es galt
jene Filme zu feiern, die die
Sehnsucht nach einem anderen Zustand der Welt wecken
konnten. Fümschaffende aus
aller Herren Länder hat er nach
Tirol eingeladen. Zumeist solche, die ihren vermeintlichen
Herren misstrauten. Pier Paolo
Pasolini hart ihn geprägt, Pasolinis Konsequenz, sein Mut zur
Drastik, der erdige Ernst, die
Ehrlichkeit — und die Bereitschaft, im richtigen Moment
aus der Rolle zu fallen.
Große Namen hat Helmut
Groschup nach Innsbruck
geholt: Ousmane Sembene
und Safı Faye waren 1997 da,
Jean Rouch kam 2003, Goran
Paskaljevic und Jiff Menzel
folgten. Und Fernando Birri
natürlich, der „Vater des lateinamerikanischen Films“. Er
und die argentinisch-deutsche
Regisseurin Jeanine Meerapfel
seien Vater und Mutter seiner
Ideen, sagte er einmal. Bei Birri entlehnte er sich eines seiner
Mottos: Die Kunst träumt mit
offenen Augen.
Den Filmen ist Helmut Groschup hinterhergereist - nach
Havanna, Tiflis oder Kerala.
Manchmal war er schon vor
den Filmen da, stieß Ideen
an. Der Kubaner Eduardo del
Llano etwa ersann sein „Tropicanita” (1997) im Sellrain.
Groschup wusste um die
befreiende Kraft des Kinos. Er
ließ sich von Filmen, von ganz
verschiedenen Filmen, vom
„Paten” genauso wie von Joris
Ivens’ „Geschichte des Windes*, berühren. Niemals aber
hätte er sich vom Kino, dieser großen Emotionsmaschine, täuschen lassen. Er ging
dahin, wo die Filme gemacht
wurden, weil er wusste, dass
sich der Blick auf die Bilder
ändert, wenn man weiß, woher sie kommen. Zurück kam
er mit Geschichten, gefilmten
und erzählten. Manchmal waren die Erzählungen besser
als die Filme, weil die besonders guten Szenen nie gedreht
wurden — Träumen mit offenen Augen eben.,
2004 hat Helmut Groschup
im slowenischen Izola mit guten Freunden „Kino Otok”,
„sein“ zweites Festival, erfunden. 2014, zu seinem Sechzigsten, wurde er dort zum
Kulturbotschafter ernannt.
Eine Chance, die das offizielle Tirol verpasst hat. Aber der
Umstand, dass seine Art, seine
bisweilen beinahe unbotmäßige Großzügigkeit zum Beispiel
und sein Wille zum Widerstand, hierzulande nicht allen
gefiel, dürfte ihm Auszeichnung genug gewesen sein.
Helmut Groschup, Festivalmacher, Kommunikator,
Netzwerker, Ermöglicher und
verdammt guter Freund, wurde 68 Jahre alt.