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Jahr: 2025
/ Ausgabe: 2025_03_11_Presse_OCR
- S.13
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Kronenzeitung
„20 Jahre Sozialmarkt: ‚Nicht jeder hat ihn gewollt‘““, (Nachtrag vom
10.3.2025) Seite 12+13
11.3.2025
20 Jahre Sozialmarkt: „Nicht j
Seit 2005 hat Michaela
Landauer den ersten
Tiroler Sozialmarkt
geleitet. Sie erzählt von
politischer Ablehnung,
schlechter Ware und
sagt offen, was sie über
den Sozialstaat denkt.
um Abschluss noch ein
Wasserrohrbruch im
Geschäft. Das hat Michaela Landauer, 20 Jahre
Leiterin des ersten Tiroler
Sozialmarktes, kurz vor
ihrer Pensionierung gerade
noch gefehlt. Als sei ihr Job
nicht fordernd genug gewesen. Landauer hat täglich gesehen, was mancher nicht
glauben will: Auch in Tirol
ist Armut und Leben am
Existenzminimum Realität,
AK-Chef und Stadtchefin
setzten sich durch
Landauer war von der ersten
Stunde an dabei. „Als die
Idee eines Sozialmarktes für
Tirol aufkam, hat es aus den
politischen Reihen gewichtige Stimmen gegeben, die das
für unnötig hielten“, erinnert sich die Rumerin noch
gut. Der ehemalige AK-Präsident Fritz Dinkhauser habe sich gemeinsam mit der
damaligen Bürgermeisterin
Hilde Zach und der Caritas
schließlich durchgesetzt und
nach Wien und St. Pölten
cröffnete im August 2005 in
Innsbruck der erste Tiroler
Sozialmarkt. Heute gibt es
im Bundesland insgesamt
zehn Geschäfte mit diesem
Konzept. Hier können Menschen mit geringem Ein-
20 Jahre
leitete
Michaela
Landauer den
Sozialmarkt
in Innsbruck.
Sie saß an der
Kassa, sie
räumte
Regale ein
und sorgte
mit ihren
Mitarbeitern
für ein
möglichst
buntes
Angebot. Im
Rückblick
sieht sie die
Aufbauarbeit
gelungen.
kommen einkaufen. „Unverzichtbar“, nennt Landauer
die Anlaufstellen. Sie sieht
Sozialmärkte nicht nur als
Nahversorger, sondern auch
als soziale Treffpunkte. Das
sei wichtig für die Kunden
und die Gesellschaft, um Lebensrealitäten von Menschen am Rande nicht aus
den Augen zu verlieren.
„Viele unserer Kunden habe
ich gut gekannt. Sie haben
mir über ihre Schicksale erzählt, ihre Familien. Wer
wenig Geld hat, ist oft auch
gesellschaftlich isoliert und
froh über ein offenes und
wertfreies Gespräch.“
„Sind kein Auffangbecken
für schlechte Ware“
Billig, aber auch qualitativ
unter dem Durchschnitt —
dieses Vorurteil gegenüber
Sozialmärkten hält sich
hartnäckig. „Mir war es stets
ein Anliegen, dass sich unsere Kunden nicht wie Bittsteller vorkommen, dass sie aus
guten und vielfältigen Produkten wählen können und
auch so etwas wie ein Einkaufserlebnis entsteht“, be-
schreibt Landauer ihren Anspruch. Das habe sie auch
stets gegenüber den Lebensmittellieferanten vertreten.
„Sozialmärkte sind kein
Auffangbecken für schlechte
Ware. Ich musste auch
schon einen Lieferanten ausschließen, weil die Produkte
mangelhaft waren.“ 15 Tiroler Firmen belieferten den
Innsbrucker Sozialmarkt in
der Adamgasse in seinen
Anfängen. „Heute sind es
mehr als 50“, erzählt Landauer nicht ohne Stolz und
unterstreicht die Bedeutung
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von Sozialmärkten für die
heute so viel gepriesene
Nachhaltigkeit (siehe auch
Daten & Fakten rechts).
Berechtigungskarten: Zahl
mehr als verzehnfacht
Und die Kunden? 300 Berechtigungskarten wurden
vor 20 Jahren zum Start in
Innsbruck ausgegeben. Heute sind es 4000. Als eindeutiges Zeichen für wachsende
Armut möchte Landauer
das aber nicht deuten: „Zum
Glück ist heute die Hemmschwelle, bei einem Sozial-
markt einzukaufen, deutlich
niedriger als früher. Ich sehe
das auch als Anerkennung
für unsere Arbeit.“
Nicht zuletzt die Flüchtlingswellen der vergangenen
Jahre hätten die Zahl der
Kunden deutlich erhöht, ergänzt Landauer: „Die Zusammensetzung der Kunden
ist heute eine andere, Es gibt
Sprachbarrieren, kulturelle
Unterschiede. Da braucht es
auch eine gewisse Strenge,
damit der Sozialmarkt eine
Anlaufstelle für alle bleibt.“
Einfach sei das nicht.
Teuerung, Wirtschaftskrise, mehr Arbeitslose — wie
sieht die langjährige Leiterin
des ersten Tiroler Sozialmarktes den Sozialstaat aufgestellt: „Der ist schon sehr
gut. Ich würde sagen: Man
kann die Menschen schon
fordern. Manche Unterstützung ist meiner Erfahrung
nach zu hoch, wird zu lange
ausbezahlt — das fördert
nicht immer die Eigeninitiative. Wichtig für alle Bürger
ist aber auch die Gewissheit,
dass das soziale Netz hält.“
Claudia Thurner
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