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Kurier

„Welchen Sinn haben Messerverbote?“, Seite 18

Welchen Sinn haben Messerverbote?

Terror und Kriminalität. Österreich und Deutschland wollen die Gesetze verschärfen. Über den Nutzen
sind Polizei und Experten unterschiedlicher Meinung. Fix ist aber: Die Gewaltkriminalität steigt nicht

VON DOMINIK SCHREIBER
UND KID MÖCHEL

Analyse

Deutschland diskutiert nach
dem Anschlag in Solingen
über eine Reduktion der
erlaubten Klingenlänge. In
Österreich wird nach verschiedenen Kriminalfällen
über Trageverbote und Verbotszonen gesprochen.

Doch welchen Sinn hat
das alles tatsächlich?

Österreichs Umgang mit
Messern gehört jedenfalls zu
den liberalsten in ganz Europa. So lange sie nicht offen
getragen werden, können sie
überallhin _ mitgenommen
werden. Tatsächlich gelten
sie rechtlich als Werkzeug,
erst beim Einsatz gegen Menschen werden sie zur Waffe.

Schaut man in die Kriminalstatistik, gibt es jedenfalls
keine auffällige Steigerung.
Die Delikte mit Stichwaffen
(dazu zählen auch Messer)
schwanken seit mehr als
einem Jahrzehnt zwischen
2.000 und 2.500 pro Jahr.
Der bisherige Höhepunkt
wurde dabei in den Jahren
2016 und 2017 registriert.

Weniger Gewaltdelikte
Ein seriöser Vergleich, beispielsweise mit Deutschland,
ist nicht möglich, da dort
komplett anders gezählt wird.
Innerhalb Österreichs sinkt
die Gewaltkriminalität aber
konstant. In den 1970er-Jahren wurden über 70.000
Schuldsprüche jährlich wegen Gewalttaten verhängt,
heute ist das nur noch bei
rund 6.000 Gerichtsverfahren der Fall. Auch Delikte mit
Schusswaffen haben sich im
vergangenen Jahrzehnt auf
die Hälfte verringert.

Die Angst vor Messern ist
groß, aber nicht unbegründet.
Experten raten in Selbstverteidigung geübten Menschen aus
gutem Grund, bei Bedrohung
mit Pistolen auf den Angreifer
loszugehen, bei Stichwaffen
hingegen wegzulaufen. Englische Studien zeigen Ssogar,
dass sich die Bevölkerung
mehr bewaffnet, wenn Me-

_ STEPHANIE AlN

Wäff$nverbotszonefl: Die Polizei sieh!

„Bei Waffenverbotszonen
im Speziellen
beobachten wir einen
Verdrängungseffekt, das
Problem verlagert sich“

Hannah Reiter
Kriminalsoziologin

dien häufiger Messer zu Straftaten abbilden — und dann
wiederum die Kriminalität
steigt. Einige Dienststellen verschicken deshalb mittlerweile
keine Fotos von Tatwaffen
mehr an die Medien.

Ist das Problem mit den
Messern also mehr im Kopf
als in der Realität?

In Wien setzt die Polizei

jedenfalls auf Waffenverbotszonen. Aktuell dürfen etwa
Messer am Praterstern und
am Reumannplatz nicht griffbereit in der Hosentasche getragen werden (im Rucksack
hingegen schon), ein weiterer
Bereich am Donaukanal wurde wieder aufgehoben.

300 Messer konfisziert

Laut Polizei wurden innerhalb von fünf Jahren in den
drei Zonen rund 300 Messer
abgenommen. Die Zahlen
schwanken monatlich, denn
sie hängen vor allem von der
Zahl der Schwerpunktkontrollen ab, wie es heißt. Hinweise auf das tatsächliche
Kriminalitätsgeschehen liefert die Statistik also nicht.

t positive Effekte, die Kriminalsoziologin hingegén nur eine Verdrängung des Prbblems

„Insgesamt ist festzustellen, dass die Maßnahmen
Wirkung zeigen“, betont die
LPD Wien. „Die strafbaren
Handlungen sind merklich
zurückgegangen. Dies ist der
gesonderten Bedachtnahme
im regulären Streifendienst,
der erhöhten Fußstreifentätigkeit, den gezielten Schwerpunktaktionen diverser Einsatzgruppierungen geschuldet. Neben der Verordnung
der Waffenverbotszone gibt
es bekanntlich auch ständige
und mobile Videoüberwachung im Bereich Reumannplatz und Keplerplatz.“

„Eine Verlagerung der Kriminalität auf andere Örtlichkeiten ist nicht festzustellen“,
betont auch Paul Eidenber-

Seite 11 von 40

34 c 6

ger, Sprecher des Innenministeriums.

„Grundsätzlich gibt oder
gab es keinerlei Begleitstudien der _ eingeführten
Waffenverbotszonen“, Kkritisiert hingegen Hannah Reiter
vom kriminalsoziologischen
Institut Vicesse. „Vom Innenministerium hierzu veröffentlichte Anzeigestatistiken sind
etwas mit Vorsicht zu genießen, da sie zeitlich begrenzt
immer nur einen Ausschnitt
zeigen können. Eine Steigerung der Statistik zeigt eine
Steigerung der Anzeigehäufigkeit, was multifaktoriell
bedingt sein kann — höheres
Vertrauen in die Polizei,
mehr ‚Awarenes’ in der Gesellschaft.“

Fakten

Gewalt

Die Verurteilungen
wegen Gewaltdelikten sind seit
den 1970ern massiv
gesunken - von rund
70.000 auf 6.000. In
Wien gab es damals
doppelt so viele
Morde wie heute

Waffeneinsätze
Zwischen 2014 und
2017 wurden bei
Gewaltdelikten
stets mehr als

600 Schusswaffen
eingesetzt, in den
vergangenen Jahren
waren es nur noch
300 bis 400. Bei
Stichwaffen
schwanken die
Zahlen laut polizeilicher Kriminalstatistik zwischen
2.000 und 2.500.
Den niedrigsten Wert
gab es 2014, den
höchsten 2016.
Konstant ist auch
der Ausländeranteil
an der Kriminalität:
obwohl wegen
Flüchtlingswelle und
Ukrainekrieg mehr
Fremde im Land sind

Und weiter meint die
Expertin: „Bei Waffenverbotszonen im Speziellen beobachten wir einen Verdrängungseffekt, das Problem — Waffen,
Alkohol, Drogen — verlagert
sich also vom einen zum anderen Ort. Man kann dies in
Wien gut auch am Praterstern beobachten, der schon
länger eine Alkohol- und Waffenverbotszone hat.“

Insgesamt sei das Problem mit anlassbezogener Gesetzgebung häufig, dass die
grundlegenden Probleme, die
hinter sozialen Phänomenen
stecken, nicht angetastet würden, so Reiter. Hier könne
man auch präventiv vorgehen
und etwa Jugendlichen Perspektiven eröffnen.