Pressespiegel seit 2021
Jahr: 2024
/ Ausgabe: 2024_05_6_Presse_OCR
- S.13
Suchen und Blättern in über 500 PDFs und 44.000 Seiten.
Gesamter Text dieser Seite:
Kurier
„Warum die ÖVP Anzengruber fürchten muss“, Seite 5
Warum die ÖVP Anzengruber fürchten muss
Innsbruck-Wahl. Die Volkspartei muss hoffen, dass sich der von ihr abgespaltene Stadtchef auf Innsbruck
konzentriert. Wenn der sich zu noch Höherem berufen fühlt, könnte das die ÖVP ins Strudeln bringen
VON CHRISTIAN WILLIM
Analyse
Johannes Anzengruber ist
tiefschwarzem Nährboden
entsprungen. Die Großmutter des am 28. April zum Bürgermeister von Innsbruck gewählten 44-Jährigen war
eine der ersten Frauen, die
für die Tiroler ÖVP im Landtag saßen. Seine Eltern: Waren Almwirte am Fuße der
Innsbrucker Nordkette, wie
er über viele Jahre auch.
Etliche Unterstützer des
Rebellen haben bäuerlichen
Hintergrund, kommen aus
Familien, die zum Teil über
Generationen mit der Volkspartei verwachsen waren.
Tief sitzender Frust
In Anzengrubers Bewegung
sammeln sich etliche von der
OVP Enttäuschte. Sie repräsentieren genau jene Basis —
so etwa auch zahlreiche ehrenamtliche Vereinsfunktionäre —, die draußen am Tiroler Land die Mobilisierungskraft der Schwarzen verkör-
pert.
In Innsbruck sind sie mit
einem gelaufen, der sich nicht
in die OVP-Hierarchie einpflegen lassen wollte. Und
letztlich von seiner Partei
kein Ticket für eine Spitzenkandidatur erhielt.
OVP-Landeshauptmann
Anton Mattle hat mit dem aus
der Bundesregierung in seine
Heimatstadt zurückgekehrten
Florian Tursky auf das falsche
Pferd gesetzt. Der 35-Jährige
landete im abgeschlagenen
Feld. Anzengrubers Liste „JA —
Jetzt Innsbruck“ hingegen
schaffte es aus dem Stand auf
Platz zwei, er selbst ging im
Bürgermeisterrennen gegen
Georg Willi (Grüne) mit 59,6
Prozent der Stimmen klar als
Erster über die Ziellinie. Letztlich hat einer aus dem Stall
der ÖVP das Bürgermeisteramt für das bürgerliche Lager
zurückerobert. Dass Anzengruber sich wieder einhegen
lässt, erscheint aber zumindest derzeit kaum vorstellbar.
Wer in sein Umfeld hineinhört, muss nicht lange warten, um Episoden von OVP-
Intrigen gegen den ehemaligen Ringer erzählt zu bekommen. Das sitzt tief.
Umgarnungsversuche
„Gerechtigkeit siegt“, war da
etwa bei der JA-Wahlparty
nach der Gemeinderatswahl
zu hören. „Skurril“, kommentierte Anzengruber entsprechend, dass Tursky ihn für die
Stichwahl empfahl. Man darf
annehmen, dass es in nächster
Zeit Umgarnungsversuche von
der OVP geben wird. Am 28.
April hätte man daher fast
meinen können, dass die ÖVP
mit Nationalrat Franz Hörl
einen Friedensboten als Gratulanten zur Wahlfeier des neuen Stadtchefs entsandt hat.
Mattle beließ es bei einer
Aussendung und gratulierte
zu einer „beeindruckenden
Wahl zum neuen Bürgermeister“. Inzwischen kündigte der
OÖVP-Landeschef an, dass
„man aufeinander zugehen“
werde. Das wird vor allem die
Aufgabe der Volkspartei sein.
Für sie liegt Canossa in Inns-
bruck. Denn was drohen
kann, wenn kein Burgfriede
zustande kommt, zeigt die
Vergangenheit nur zu gut.
Funken gezündet
2012 setzte die ÖVP der damaligen Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer von der 1994
gegründeten und von oben geduldeten Abspaltung „Für
Innsbruck“ einen ehemaligen
Rivalen als Gegenkandidaten
vor die Nase. Eine Kampfansage. In einer Stichwahl behielt
Oppitz-Plörer knapp die Oberhand. Ihre Rache folgte auf
dem Fuß. 2013 sah sich OVP-
Landeshauptmann Günther
Platter mit einer von der Stadt-
Seite 13 von 31
Mit Franz Hörl
stellte sich ein
hochrangiger
ÖVP-Vertreter
bei Anzengruber
als Gratulant ein
chefin mitgegründeten Liste
‚Vorwärts Tirol“ bei den Landtagswahlen konfrontiert. Klares Ziel: der Sturz von Platter.
Der kratzte gerade noch
die Kurve, auch weil „Vorwärts Tirol“ zwar reüssierte,
auf der Zielgeraden durch interne Streitigkeiten aber wohl
noch entscheidende Prozentpunkte einbüßte, die das Aus
für den Landeshauptmann
hätten bedeuten können.
Absprung ins Landhaus
Die Vergangenheit zeigt
außerdem: Das Innsbrucker
Bürgermeisteramt
Sprungbrett sein — bei „Für
Innsbruck“-Gründer Herwig
Mit
Sirtaki zur
Koalition
Regierung. Noch auf der
Wahlparty vergangenen
Sonntag tanzte der neue
Innsbrucker Bürgermeister Johannes Anzengruber ( (JA — Jetzt
Innsbruck) mit seinem
grünen Vorgänger
Georg Willi und SPÖ-
Stadträtin Elli Mayr auf
der Bühne Sirtaki. Eine
Woche später hat es sich
immer noch nicht ausgetanzt: Nachdem Anzengruber mit allen Parteien Sondierungsgespräche geführt hatte, gab er
am Sonntag bekannt,
dass er mit Willi und
Mayr die Koalitionsge-
spräche antritt.
Man wolle eine Koalition der Gewinner bilden, so Anzengruber zur
APA. Bis 16. Mai soll die
Sirtaki-Koalition unter
Dach und Fach sein.
van Staa 2002 vom Bürgermeister- ins _OVP-Landeshauptmannamt. 2008 hat wiederum der von der OÖVP abgespaltene Fritz Dinkhauser aus
der Position des AK-Präsidenten mit der nach ihm benannten „Liste Fritz“ bei der Landtagswahl vorgemacht, wie
man als abtrünniger Schwarzer punkten kann. Er kam aus
dem Stand auf 18,4 Prozent.
Unter diesen Vorzeichen
könnte Anzengruber über
kurz oder lang zur ernsten
Gefahr für die Tiroler Volkspartei werden. Am 28. April
hat er schon mal Zugkraft
quer durch breite Bevölkerungsschichten bewiesen.