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Jahr: 2023

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Tiroler Tageszeitung

„Gehört Hitler in die Tonne?“, Seite 14

Von Barbara Unterthurner

Innsbruck — Es muss nicht immer das Besteck mit dem Hakenkreuz sein — oder der Keksausstecher in gleicher Form.
Im Stadtarchiv in Innsbruck
landeten über die Jahre noch
viel subtilere Überbleibsel
des Nationalsozialismus, zuletzt etwa ein Kinderbuch aus
dem Brenner-Archiv, in dem
von der Swastika nur noch ein
schwarzer Punkt bleibt. Die
„entschärften“ Fassungen des
Büchleins aus 1938 werden bis
heute online angeboten.

Wie überhaupt umgehen
mit derart belastetem Erbe,
das auf so manchem Dachboden lauert? Aufbewahren? Zerstören? Verkaufen? Das fragen
sich nicht nur Erbinnen, sonderm 2022 auch das Haus der
Geschichte Österreich (hdgö)
in Wien. „Hitler entsorgen“,
so der provokante Titel der
Schau, sorgte für Aufsehen —
auch weil sie möglichst niederschwellig, ohne aber plakativ

zu sein, wichtige Einblicke in
die Archivarbeit gab.

Eine verkürzte Innsbrucker
Fassung von „Hitler entsorgen” ist jetzt auch im Stadtmuseum zu sehen. Mit der
Eröffnung einen Tag vor dem
Gedenken an die Pogromnacht 1938 und nach jüngsten Antisemitismus-Vorfällen
in Dornbim oder Graz hat so
eine Ausstellung neue Dringlichkeit bekommen. Entziehen kann sich der zentralen
Fragestellung in der Schau
niemand. Gleich zu Beginn
gilt es zu entscheiden: Aufbewahren? Zerstören? Verkaufen?

Aufbewahren, wenn"s geht

Die KuratoriInnen der Innsbrucker Fassung von „Hitler
entsorgen. Vom Keller ins Archiv*, Niko Hofinger und Renate Ursprunger, plädieren in
ihrer Funktion als Historiker
und Museumsleiterin fürs Aufbewahren und Kontextualisie-

ren - zumindest, wenn Objekte
fürs Archiv geeignet erscheinen. Hintergrundinfos etwa
sind dringend nÖötig. Noch eine
Ausgabe von „Mein Kampf“,
die in der NS-Zeit auch in
Innsbruck jedes Brautpaar bei
der Hochzeit am Standesamt
in die Hände gedrückt bekarn,
werde nicht im Stadtarchiv
aufgenommen, sagt Hofinger.
Ein Exemplar ist in der Ausstellung jedenfalls zu sehen.
Auch um damit zu erzählen,
wie Bürgermeister Alois Lugger
1946 in Innsbruck mit einem
heiden Auftrag der französischen Besatzungsverwaltung
umging. Die Vernichtung von
rund 1000 „Geschenkbüchern
‚Mein Kampf”” aus dem Standesamt war angeordnet. Letztlich landeten die Bücher im
Heizofen des städtischen Gaswerks — Lugger veranlasste im
Grunde eine Bücherverbrennung der etwas anderen Art.
Derlei Anekdoten erwarten
BesucherInnen im Stadtmuseum an insgesamt 17 interakti-

mmmm«mmlbmmumw}ö-M(mmmmduemünmmuu.omumm")M)uellsfüanngenloc*nnflefl.

Gehört Hitler in die Tonne?

Aufbewahren? Zerstören? Verkaufen? Mit „Hitler entsorgen“ fragt das Stadtmuseum nach
dem Umgang mit Überbleibseln der NS-Zeit. Eine wichtige und sehenswerte Schau.

ven Stationen, denn erarbeiten
muss man sich die Geschichten der ausgestellten Objekte
schon selbst. Das hdgö gab mit
einem klugen Ausstellungsdesign die Richtung vor: Jedes Exponat-sei es der Kinderwagen,
der einmal Feldpostkiste war,
oder das Mikrophon, durch
das der Führer wohl einst in
Linz zum frisch angeschlossenen Österreich sprach und das
sich bis 1990 auf dem Tisch des
jeweiligen technischen Leiters
im oberösterreichischen ORF-
Landesstudio befand — wurde
mit den fünf gleichen Fragen
nach Herkunft oder Aussage
konfrontiert.

Diese Vorlage übernahmen
Hofinger und Ursprunger für
Innsbruck, somit gelang—- trotz
Abstrichen — eine Kontinuität.
Zentral ist die Kontextualisierung, die nüchterne Inszenierung und dass alle drei Möglichkeiten, also aufbewahren,
zerstören und verkaufen aufwendig erörtert werden — sowohl Verbotsgesetz als auch

die Vorgehensweise von Ausräum-Unternehmen werden
thematisiert. Und letztlich
auch künstlerische Ansätze, die
damit beschäftigten. Erst 2022
machte die Tiroler Künstlerin
Esther Strauß einen Sammlungsaufruf für NS-Objekte.
Rund 500 wurden abgegeben.
Strauß wird am 26. März über
ihre Arbeit sprechen.

Noch wichtiger ist, dass
sich das Stadtmuseum anlässlich der Schau auch selbst
hinterfragt. Steigt man hoch
in Richtung Stadtarchiv, trifft
man auf vier Gemälde von
Ernst Nepo in Schieflage —
eine Intervention des Museums. Wie umgehen mit dem
Tiroler, dessen NS-Vergangenheit bis heute manchmal
verschleiert wird. Aufbewahren? Zerstören? Verkaufen?
Eine Antwort steht noch aus.

Stadtmuseum. Badgasse 2,
Innsbruck; bis 3. Mai 2024, Ma-Fr
9-17 Uhr.

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