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Jahr: 2023
/ Ausgabe: 2023_08_26_Presse_OCR
- S.3
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Tiroler Tageszeitung
TirolerseTageszeitung
„‚Von den Fesseln der ÖVP befreit‘“, Seite 3
26.8.2023
Geht Ihnen und Ihrer Partei
das Regieren in Tirol ab?
Gebi Mair: Man merkt, dass
die Grünen der Landesregierung abgehen. Man sieht ja,
was von der schwarz-roten
Landesregierung im letzten
Dreivierteljahr an Initiativen
übrig bleibt: Wasserstoffzug,
Matrei, Lebensraum-Holding, GemNova und Strandfotos. Viel mehr nicht. Für
die Grünen war das Regieren
wichtig, man hat viel gelernt,
viel weitergebracht, es hat
aber auch müde gemacht
und an den Kräften gezehrt.
Ich würde sagen, den Grünen
fehlt das Regieren nicht. Man
ist jetzt von den Fesseln der
ÖWVP befreit.
Das klingt ja fast so, als ob
man keine Lust mehr aufs
Regieren hat?
Mair: Nein, natürlich kommt
die Lust aufs Regieren wieder. Aber die Grünen haben
jetzt eine wichtige Aufgabe in
der Opposition, die wir gerne
erfüllen.
Die Grünen haben sich in
dieser Position wieder gefunden?
Mair: Politik ist immer Handwerk. In der Opposition
braucht es natürlich andere
Fähigkeiten als beim Regieren. Das lernen wir wieder.
Mir kommt aber ehrlich gesagt vor, dass sich Journalistinnen und Journalisten weniger daran gewöhnt haben
als wir Grünen selbst.
Es gibt Bürgerinitiativen,
die den Grünen beim Naturschutz zu wenig Prinzipien- und zu viel Koalitionstreue vorwerfen. Auf
Bundesebene sowieso, aber
auch als die Grünen noch
Teil der Landesregierung
waren.
Mair: Mittlerweile sagen einige Bürgerinitiativen auch:
Es ist doch mehr weitergegangen, als die Grünen noch
in der Landesregierung waren. Von der Wolfsdiskussion einmal abgesehen: Es
gibt null Diskussion über das
Seilbahn- und Skigebietsprogramm, obwohl das eines der
größten Themen ist, die jetzt
anstehen. Scheinbar ist allen
auch das Thema Moorschutz
zufrieden. Der Kritik aus den Reihen der
„Von den Fesseln der ÖVP befreit“
Grünen-Landeschef Gebi Mair sieht das Kanzler-Kurz-Aus als unsterblichen Verdienst seiner Partei und Gratis-Öffis
als Notwendigkeit. Vor VP-Staatssekretär Tursky bräuchte sich BM Willi bei der Innsbruck-Wahl nicht fürchten.
völlig egal, wenn es um das
Kraftwerk Kaunertal geht.
Beim Thema Bodenversiegelung würde man sich Initiativen erwarten.
Der scheidende Alpenvereins-Präsident Andreas Ermacora kritisiert, dass sich
in Sachen Natur- und Gletscherschutz nichts geändert
hat. Egal, ob VP/Grüne oder
VP/SP am Ruder sind.
Mair: Mein lieber Freund Andreas Ermacora weiß auch,
wer damals durchgesetzt
hat, dass es Geld für den Alpenverein für den Umbau
von Hütten gegeben hat, als
während der Pandemie vieles
schwierig war. Oder wer den
Landesumweltanwalt weisungsfrei und damit unabhängig gestellt hat. Das waren
die Grünen, nicht die ÖVP.
Wenn wir es an der Rückkehr der Beutegreifer —
Wolf, Bär — festmachen:
Hätten da die Grünen nicht
auch schon viel früher laut
auf eine Vorbereitung bzw.
Maßnahmen wie Herdenschutz drängen müssen?
Mair: Ja, es ist viel versäumt
worden. Gerade was den Herdenschutz anbelangt.
EU-Gelder sind geflossen,
nur halt nicht in den Herutz.
Mair: Ja, das ist aber ein anderes Thema. Auch wie viele
Hirten es wirklich gibt. Ja, die
Kritik ist richtig. Die ÖVP will
kein Geld aus dem EU-Landwirtschaftstopf für den Herdenschutz abholen. Jetzt hat
man einige Wölfe abgeschossen. Ich gehe davon aus, dass
einige dieser Verordnungen
rechtswidrig waren. Wir werden in einem Jahr sehen, ob
Wölfe nachkommen.
Wieso sollte beim Skigebiets- und Seilbahnprogramm unter Schwarz-
Rot mehr gehen als unter
Schwarz-Grün? Damals ist
das Programm nur fortgeschrieben worden.
Mair: Optimistisch macht
mich unter Schwarz-Rot gar
nichts. Es ist zu befürchten,
dass sich Franz Hörl beim
Skigebietsprogramm so
durchsetzen wird wie bei der
Wasserstoffbahn im Zillertal.
Am Ende wird es für alle teurer und schlechter. Die Regierung hat bei der Wasserstoffbahn bewusst 180 Millionen
Euro Mehrkosten in Kauf genommen. Keine Ahnung, ob
sie sich da jetzt noch irgendwie wieder rauswinden.
Die jetzt angeordnete Überprüfung der Wasserstofflösung iist für Sie nur Placebo?
Mair: Die Landesregierung
betont bei jeder Gelegenheit,
dass der Grundsatzbeschluss
aufrecht bleibt. Aber zum
Seilbahnprogramm: Ich wünsche mir fixe Endausbaugrenzen. Das Programm müsste
sich weiterentwickeln, wenn
man aufs Klima schaut.
Oder man lässt sich ein
Klimaticket-Tattoo für den
Klimaschutz stechen ...
Mair (lacht): Es gab im Stephansdom auch mal eine Tattoo-Aktion der Kirche. Es hat
für Aufmerksamkeit gesorgt ...
Es war aber eine Schnapsidee?
Mair: Meine Vermutung ist
ja, dass sich keiner eines stechen hat lassen ...
Laut APA waren es sechs.
ren Fake-Tattoos ...
Um beim Thema Öffis zu
bleiben: Momentan kostet
eine Fahrt Telfs-Innsbruck
und retour 16 Euro - ist das
nicht viel zu teuer?
Mair: Ja. Unter den Grünen
/
—
wurden die Monatskarten
um 50 Prozent verbilligt.
Schwarz-Rot hat sie wieder
auf den ursprünglichen Preis
angehoben. Die reise gehören runter. Das Land hätte
es in der Hand.
Wieso die Öffis nicht generell — analog zu anderen
Ländern und Städten — gratis machen?
Mair: Ich wäre ein Fan davon.
Die Gegenargumente sind,
dass mit dem Ansturm die
Qualität darunter leidet. Das
ist nicht falsch. Öffentlicher
Verkehr darf aber nicht nur
ein Privileg der Stadt sein. Ein
stündlicher Bus ist das Mindeste. Ansonsten werden die
Leute auch nicht umsteigen.
Als Nächstes wählt im
Frühjahr 2024 die Landeshauptstadt Innsbruck.
Auch die Grünen sind hier
seit geraumer Zeit gespalten. Das kann Sie als Parteichef doch nicht zufrieden stimmen?
Mair: Die ÖVP ist dreifach gespalten, die FPÖ ist gespalten.
Die SPÖ hat sich halbiert. ALI
war einmal bei den Grünen
und ja, auch bei den Grünen
ist das Thema nun da. Damit
bin ich überhaupt nicht zufrieden. Das Drama in Innsbruck ist, dass ein jeder Versuch, konstruktive Politik zu
machen, von einer Mehrheit
betoniert wird. Sicherlich ist
tirol li
Im Wordrap über dies und das bei „Tirol Live“.
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auch bei den Grünen nicht
immer alles sehr geschickt
gelaufen. Das ist unbestritten.
Aber dass eine Mehrheit keinen Willen hat, etwas zustande zu bringen - das schmerzt
beim Zuschauen.
Aber machen wir es konkret: Ist es Ihr Ziel als Parteiobmann, die Innsbrucker Grünen vor der Wahl
wieder zu einen?
Mair: Den drei Angesprochenen (Renate Krammer-Stark,
Marcela Duftner, Thomas
Lechleitner; Anm.) ist ihre
Mitgliedschaft in Folge der
Abspaltung vom Friedensgericht der Grünen ruhend
gestellt worden. Ich kann
mir nicht vorstellen, dass sie
wieder auf unserer Liste kandidieren wollen. Aber man
muss bei den Grünen kein
Mitglied sein, um sich der
Wahl zu stellen.
Ist Bürgermeister Georg
Willi überhaupt noch der
geeignete Spitzenkandidat
für die Grünen?
Mair: Sicher. Georg hat gute
Zustimmungswerte und ist
ein herzensguter Mensch. Er
will immer das Beste, kann
aber vielleicht als Mensch
nicht immer damit umgehen,
in welchem Haifischbecken
er sich dort bewegt.
Müssen sich die Grünen
vor einem möglichen bürgerlichen Einheits-Spitzen-
kandidaten Florian Tursky
fürchten?
Mair: Nein. Tursky hat noch
nicht eine einzige Wahl selbst
geschlagen. Er ist von Günther Platter inthronisiert worden. Ich beschäftige mich
nicht damit, auf welchen
Spitzenkandidaten sich andere einigen.
Viel versucht, wenig ge-
Iungen: Das gilt ja nicht
nur für die Grünen in
Innsbruck, sondern auch
für den Bund. Schadet das
langfristig nicht der Glaubwürdigkeit Ihrer Partei?
Mair: Ja. Die VP will das Bargeld in der Bundesverfassung.
Gescheit ist das nicht. Wir haben die VP gefragt: Und wo ist
das Klimaschutzgesetz? So arbeitet man halt in der Politik.
Ich halte es unfair gegenüber
der Jugend, ihr den Klimaschutz zu verweigern. Natürlich kann man uns vorwerfen,
wenig durchzubringen. Nur
was machen wir jetzt mit dieser Feststellung?
Vielleicht die Koalition auf
Mair: Und was kommt dann?
Der unsterbliche Verdienst
aller grünen Regierungsmitglieder ist, dass sie uns
Sebastian Kurz vom Hals geschafft haben. Offenbar ist
auch die ÖVP schmerzbefreit.
Die wollten trotzdem mit uns
weiterregieren. Aber ja: Auch
in der Bundesregierung sollte
mehr weitergehen.
Schlimmer als der Stillstand würde aber ein Koalitionsbruch auch nicht sein?
Mair: Eine schwarz-blaue
Mehrheit fände ich schlimmer. Das sieht man in Salzburg, Nieder- und Oberösterreich. Die ÖVP hat keine
Hemmungen. Bei der Natio-
eine Mehrheit jenseits von
VP/FP zustande zu bringen.
Wollen Sie für den Nationalrat kandidieren?
Mair: Danke, ausgeschlossen.
Warum?
Mair: Ich würde es in Wien
nicht aushalten.
Das Interview führten
Manfred Mitterwachauer
und Liane Pircher