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Jahr: 2022
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- S.16
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Der Standard
„Fehlendes Geschichtsbewusstsein“, Seite 16
21.12.2022
Fehlendes Geschichtsbewusstsein
Der Ausgang des Wettbewerbes für eine künstlerische Intervention am Neuen Landhaus Innsbruck zeigt,
dass es dem Land Tirol nur um politische Imagepolitur zu gehen scheint. Nun droht die vollkommene Blamage.
m ‚Juni z022 prämierte eine Fach-
I jury Franz Wassermanns Ent-
wurf „Wir haften für unsere Geschichte” als Beschriftung auf dem
Neuen Landhaus in Innsbruck. Die
Politik akzeptierte das Ergebnis
nicht. Man lehnte das Siegerprojekt
erst kommentarlos, dann nur
schwach jert als i
net“ ab. Stattdessen entschied man
eigenmächtig, das zweitgereihte
Projekt von Ramesch Daha und dem
Architekturkollektiv AKT zu realisieren. Laute Kritik angesichts der
intransparenten Vorgehensweise
gabees nicht nur seitens der Jury und
der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Kritisch zu Wort meldeten sich
auch Gerhard Ruiss namens der IG
Autorinnen, die Tiroler Künstlerschaft, Gemeinderat
(Alternative Liste
Laändhausplatz-Mitgestalterin Kathrin Aste (LAAC Architekten) und die
Innsbrucker „battlegroup for art“.
Nun haben Ramesch Daha und
AKT ihr Projekt zurückzogen. Eine
sicher schwere, aber zweifelsfrei
richtige Entscheidung. Somit droht
die Gefahr, dass keines der Projekte
realisiert werden könnte. Ein totar
les Scheitern des Wettbewerbs aber
liegt allein in der Verantwortung der
politisch Zuständigen, die sich bis
dato durch intransparente Entscheidungen und einen gönnerhaften
Umgang auszeichneten. Es liegt in
deren Zuständigkeit, dies zu korrigieren, Bereits im August richtete
die Mehrheit der Teilnehmerinnen
und Teilnehmer einen offenen Brief
an die Landesregierung, der bis
heute unbeantwortet blieb. Jetzt
heißt es erstmals, man wolle „die
Künstler“ zu einem Gespräch einladen. Welche der Künstler gemeint
sind und ob Franz Wassermann inkludiert werden soll, bleibt offen,
Symbolische Handlung
Warum sich die Verantwortlichen mit dem Sprachbild Wassermanns nicht anfreunden wollten,
ist unschwer zu erahnen, Die Jury
und die Teilnehmenden wurden
zwar als Kunst- und Geschichtsexpertinnen und -experten eingeladen, aber nicht bedingungslos, Die
Wettbewerbsauslober wollten wohl
eine symbolische, externalisierte
Handlung setzen lassen, aber keinesfalls eine so explizite Handlungsanweisung wie jene Franz Wassermanns. Schon gar nicht am Corpus
Delicti, dem aufwendig renovierten
einstigen Machtzentrum der Gauleitung, Reichsstatthalterei und
NSDAP in Tirol. Wer die Täter waren
E
—03
;
Zogen Ihr Projekt zurück: die Visualisierung des Projekts „Balkensturz” von Ramesch Daha und dem Architekturkollektiv AKT,
und dass von hier aus die Entrechtung und die Ermordung der jüdischen Bevölkerung, die Auslöschung politischer Gegner und die
Tötung körperlich und geistig beeinträchtigter Menschen ausgingen,
wird hier bis heute nicht erwähnt.
Vermutlich wollen manche Politikerinnen und Politiker nicht daran
erinnert werden, dass auch sie haftbar sind, Es wurde suggeriert, dass
die Beschriftung der heutigen Belegschaft des Hauses nicht zumutbar
sei. Man könnte meinen, dass die
Landesregierung ihre Beamtinnen
und Beamten nicht als ein Teil der
angesprochenen Gesellschaft sieht.
Franz Wassermanns gecancelte
Arbeit zeigt: Ob und wie wir für
unsere Geschichte haften, ist vor allem eine moralische und gesellschaftliche Frage. Sich für und als
Gesellschaft einzusetzen, bedeutet
per se etwas Positives. Es ist eine Investition und keine Verurteilung,
Engagement bedeutet, dass sich etwas entwickeln kann. Es ist ein Zur
kunftsbild - oder anders ausgedrückt: ein Leitbild für die Zukunft
im Hier und Jetzt. Die Prämisse
bleibt, aus der Geschichte zu lernen.
Das Scheitern des Wettbewerbs
zeigt, dass der Fachjury und den geladenen Kunstschaffenden wie auch
Architektinnen und Architekten
keine maßgebliche Kompetenz zugesprachen wurde. Die Politik sieht
Expertise, wenn sie den eigenen
Vorstellungen widerspricht, als abkömmlich an. Ein wichtiger, mit
„Ob und wie wir für
unsere Geschichte
haften, ist vor allem
eine moralische und
gesellschaftliche
Frage.“
Steuergeld finanzierter gesellschaftlicher Auftrag verkam so zur Farce,
Es ist aus der Zeit gefallen, wenn
die Aufarbeitung von NS-Geschichte mehr der politischen Imagepoliturdienen soll, als wirklich relevant
zu sein, Traurig, wenn Kunst zum
Das Fehlen eines äußeren Erinne-
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rungszeichens am ehemaligen Gauhaus war 2020 von jener Historikerkommission bemängelt worden, die
mit der Aufarbeitung der NS-
Geschichte des Gebäudes beauftragt worden war. Die Tiroler
Landesregierung scheint diese Erkenntnisse aber nicht verinnerlicht
oder verstanden zu haben. Von Beginn an gelang es nicht, eine Vision
zur Vermittlung der Geschichte zu
entwickeln. Bis dato beschränkt
sich die Thematisierung der NS-Geschichte des Gebäudes auf eine
hochnotpeinliche „Tafel* im Ein-
Kangsbereich, die den Bogen von
NS-Gewaltherrschaft über die französische „Besatzungsmacht“ zur
heute demokratischen Regierung
zu spannen versucht.
Ob „Kulturpolitik - (kjein wichtiges Thema?“ sei, wurde jm Wahlvorfeld in Innsbruck via der „battlegroup for art“ mit kulturpolitischen
Vertreterinnen und Vertretern der
Partejen diskutiert. Thematisiert
wurde unter anderem, was an der
Kultur- und Vergabepolitik des Landes nicht passt, samt Negativbeispiel dieses Wettbewerbsverlaufs, Der Ruf nach mehr Mitbe-
mmmungwurdelautn-dnel"obnk
schwieg, Die üne Koalition agiert weiterhin nach dem Motto ‚Wir haben alles richtig gemacht”,
anstatt Verantwortung zu übernehmen. Die Wählerinnen und Wähler
haben jetzt die Wahl, und die sallten sie ergreifen.
Die ärgste Blamage wäre es,
wenn kein Projekt zustande käme.
Die Landesregierung und Kulturlandesrätin Beate Palfrader (ÖVP})
dürfen ihre Verantwortung nicht
auf einzelne Teilnehmerinnen und
Teilnehmer oder gar die Jury abwälzen. Der Einzige, der aus diesem
Wettbewerb unbeschadet hervorgehen könnte, ist Franz Wassermann. Er ist der legitime Sieger dieses Wettbewerbs. Die Ausführung
seines Projektes noch vor der Wahl
zu verkünden, wäre aufrichtig. Es
ist der Politik zumutbar, Format zu
zeigen. Just do it!
ARYE WACHSMUTH ist Medienkünstler
und tebt in Wien. Themen seiner künstlerischen Untersuchungen sind unter anderem Geschichte und ihre Wahrnehmung
und die Auseinandersetzung mit dem
Thema Flucht,