Pressespiegel seit 2021

Jahr: 2022

/ Ausgabe: 2022_11_14_Presse_OCR

- S.3

Suchen und Blättern in über 500 PDFs und 44.000 Seiten.





vorhergehende ||| nächste Seite im Dokument

Zur letzten Suche
Diese Ausgabe – 2022_11_14_Presse_OCR
Ausgaben dieses Jahres – 2022
Alle Ausgaben

Dieses Bild anzeigen/herunterladen
Gesamter Text dieser Seite:
Tiroler Tageszeitung

TirolerseTageszeitung

„Wirbel rund ums Wahlrecht“, Seite 17

14.11.2022

Wirbel rund ums Wahlrecht

Polit-Mehrheit in Innsbruck will für Unionsbürger ein Jahr Wartefrist bei Kommunalwahlen,
weil das auch im Rest Tirols gelte. Doch die Gemeindeabteilung widerspricht dieser Ansicht.

Innsbruck — Es ist eine brisante, womöglich missverständlich geführte Diskussion: Auf
Antrag des „Gerechten Innsbruck“ hat eine Mehrheit
im Innsbrucker Gemeinderat — gegen die Stimmen von
Grünen, SPÖ, NEOS und ALI
— kürzlich beschlossen, dass
BM Georg Willi (Grüne) binnen eines Monats den Landesgesetzgeber ersuchen soll,
die Innsbrucker Wahlordnung
(IWO) in Bezug auf das Wahlrecht zu ändern.

Derzeit heißt es in der IWO
u.a., dass bei Gemeinderatsund Bürgermeisterwahlen
in Innsbruck jeder Unionsbürger ab 16 wahlberechtigt
ist, der „in der Stadt seinen
Hauptwohnsitz hat“. GR Gerald Depaoli (GI) beantragte nun, diese Formulierung
(und analog jene für das passive Wahlrecht) an die Tiroler
Gemeindewahlordnung (TG-
WO) anzupassen, wie sie für
alle anderen 276 Gemeinden
gilt. Dort steht, dass bei Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen jeder Unionsbürger wählen darf, der seinen
Hauptwohnsitz in der Gemeinde hat, „es sei denn, dass
er sich noch nicht ein Jahr in
der Gemeinde aufhält und
sein Aufenthalt offensichtlich
nur vorübergehend ist“.

Für Depaoli - und offenbar
auch für FPÖ, ÖVP, FI und
Liste Fritz, die zustimmten
— folgt daraus, dass in Innsbruck Unionsbürger sofort
nach der Hauptwohnsitzmeldung politisch mitbestimmen
dürfen, in allen anderen Tiroler Gemeinden aber erst nach
einem Jahr Wartefrist. Depaoli hält es für falsch, in Inns-

Formulierungen in der Innsbrucker Wahlordnung unterscheiden sich zwar von der fimler Gemeindewahlord
Laut Gemeindeabteilung dürfen aber z.B. Studierende in ganz Tirol ohne „Wartefrist“ wählen.

‚ Bei Studierenden
ist davon auszugehen, dass ihr Aufenthalt
von Anfang an auf mehrere Jahre ausgelegt ist.“

Christine Salcher
(Abt. Gemeinden, Land Tirol)

bruck wählen zu dürfen, wenn
man „noch nicht einmal die
Annasäule oder das Goldene
Dachl“ kenne. Er fordert „Zeit
zum Akklimatisieren“.

Dass sich sein Vorstoß vor
allem gegen Studierende richten dürfte — unter der Annahme, dass diese überdurch-

schnittlich die Grünen wählen
würden —, verhehlt Depaoli
nicht: Die Grünen würden
jetzt wohl „ihre Felle davonschwimmen“ sehen, meinte
er im Gemeinderat.

Aber ist es wirklich so, dass
man in anderen Tiroler Gemeinden als „Zugezogener“
aus Österreich und dem EU-
Raum ein Jahr warten muss,
ehe man dort auf Kommunalebene wählen darf? Eine Anfrage der TT bei der Abteilung
Gemeinden des Landes Tirol
ergibt ein ganz anderes Bild
— entscheidend ist dabei das
Wörtchen „und“ in $ 7 TGWO:

Seite 3 von 7

— ——



s

Symbolfoto: imago/Ener

Von der Wahl ausgeschlossen
ist ein Unionsbürger demnach
nur, wenn er sich erst weniger
als ein Jahr in der Gemeinde
aufhält und der Aufenthalt
„offensichtlich nur vorübergehend ist“. Im Falle von Studierenden sei die Auslegung
klar, sagt Christine Salcher,
Abteilung Gemeinden: Hier
sei davon auszugehen, dass
der Aufenthalt von Anfang an
zumindest auf mehrere Jahre
ausgelegt ist — das gilt nicht als
„vorübergehend“.

Heißt: Auch in Kufstein, Hall
und allen anderen Gemeinden dürfen z.B. Studierende

aus Österreich und anderen EU-Ländern sofort nach
Hauptwohnsitzmeldung Gemeinderat und Bürgermeister
wählen — genau wie in Innsbruck. Anders sei das etwa,
wenn Studierende nur für ein
Erasmus-Semester nach Tirol
kommen, oder bei Saisonniers
im Tourismus, die nach der
Saison gleich wieder abreisen,
führt Salcher aus. Letztlich sei
es natürlich immer eine Einzelfallbetrachtung — im Zweifel folge man aber eher der
Auslegung, „jemanden nicht
vom verfassungsmäßig gewährleisteten Wahlrecht auszuschließen“.

Ganz ähnlich hatte im Gemeinderat Stefan Gasser
(SPÖ) argumentiert: Depaoli
sitze einem „großen Missverständnis“ auf: Selbst wenn der
neue Passus aufgenommen
werde, ändere sich nichts, zumal die Wahlbehörde dann
vor jeder Gemeinderatswahl
bei allen, die sich noch nicht
ein Jahr in Innsbruck aufhalten, überprüfen müsste, ob
ihr Aufenthalt offensichtlich
nur vorübergehend ist — was
schon gar nicht administrierbar sei. In der Praxis spiele der
Passus also keine Rolle. Umgekehrt: „Sollte man jemanden zu Unrecht vom Wahlrecht ausschließen, droht
eine Wahlanfechtung“, warnte Gasser. Fazit: Es handle sich
bei Depaolis Antrag um eine
„reine Showgeschichte“. Auch
GR Dejan Lukovic (Grüne) sah
hinter dem Antrag nur „parteipolitisches Kalkül“.

BM Willis Anfrage an das
Land steht noch aus — auf die
Antwort darf man aber schon
jetzt gespannt sein. (md)