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Jahr: 2022

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Tiroler Tageszeitung

„‚Nicht zur Karikatur eines Kastraten werden‘“, Seite 2

„Nicht zur Karikatur eines
Kastraten werden“

Valer Sabadus ist einer von vier Countertenören in der Barockoper
„Silla“ heute Abend zum Auftakt der Festwochen der Alten Musik.

Ihr erstes Anıreten in Innsbruck vor mehr als zehn
Jahren verlief wenig verheißungsvoll Wie erging es
Ihnen damals?
Valer Sabadus: Beim Cesti-
Gesangsweittbewerb 2010
bin ich in Runde 2 hinaus-
Da dachte ich mir:
„Nie wieder Innsbruck!“
Seither gastierte ich fünfmal
mit Konzerten hier. „Silla“,
zum Auftakt der Festwochen
ab heute Abend, ist die erste
Oper, bei der ich in Innsbruck
mitwirke. Ich fühle mich hier
so richtig wohl. Man versteht
sich sofort und grüßt den
Gott, wie in Niederbayern, wo
ich aufwuchs.

In besagier Oper aus 1753
geben Sie die Partie des Metello. Er isı ein echter „nice
guy”. der den Tyrannen Silla zur Vernunft bringt.
Sabadus: Meiello ist der
Mahner, um nicht zu sagen
Monlaposlel. der auf Silla

gestiegen.
könig Friedrich IL, von dem
das Libreito stammt, sieht
wohl Parallelen zu sich selbst.
Die Musik von Carl Heinrich
Graun ist fantastisch und
trägt schon Züge der Vorklassik wie die des jungen Mozart.
Sieet stchen vier
Countertenöre, Männer in
den Stimmlagen von Frauen, auf der Bühne. Ein Wentbewerb untereinander?

den. Wir vier Countertenöre
bei „Silla“ arbeiten als Team,
wir proben seit Anfang Juli
intensiv. Es muss dabei nicht
immer Freundschaft entstehen, es geht um Kollegialität.
Man ist als Einzelner nur ein
Puzzleteil. Man sollıe niemals
versuchen, die Rampensau
herauszulassen.

War es Ihr Berufsziel,
Countertenor zu werden?
Sabadus: Es gab da ein
Schlüsselerlebnis, als ich mit
17 Countertenor Andreas
Scholl hörte. Dessen Gesang
imitierte ich dann im Falset.

Vajer Sabadus, 36, stammt aus Rumänien und lebt seit 1991 in Deutschland. Der Countertenor gastierte schon mehrmals in Innsbruck, m wesse

Meine Mutter, eine Musikerin, erkannte mein Talent. So
es.
Wie schaffen Sie es technisch, in der Höhe einer
Frau zu singen?
‚ Man ist als Finzelner nur ein Puzzleteil. Man sollte niemals
versuchen, die Rampensau herauszulassen.“
Vöier Sabadıs
(Countertenor)

Sabadus: Grundsätzlich in
der Art, wie wenn ein Mann
die Süumme einer Frau nachahm!ı, das allerdings in einer
Technik in Sachen
Stimmbänder und Atmung.
Technisch ausgedrückt, wird
die Brustresonanz durch eine Kopfsti hnik verstärkt. Es braucht Veranla-

gung, Technik und Training.
So erreiche ich die Höhe des
Isı das für die Stimme nicht
wahnsinnig strapaziös?
Sabadus: Natürlich muss ich
die Stimme schonen, was
schwierig ist, wenn, wie jetzt
für eine Oper, mehrere Tage
am Stück geprobt wird. Die
Stimme verändert sich, sie
kann sinken, man muss ständig an ihr arbeiten und auch
leben. Aber natürlich
will man auch einmal „sündigen“ und sich nach einem
Auftritt ein Bierchen gönnen.
Das geht auch ohne Alkohol.
Könnten Sie vom Countertenor zum Tenor umsaltein, der Ihrer Sprechstimme entspricht?
Sabadus: Eine solche Umstellung wäre grundsätzlich
möglich, würde aber viel
Zeit benötigen. Stimm- und

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Muskelapparat sind bei diesen beiden Lagen sehr unterschiedlich Mir
würde zum Tenor das Talent
fehlen. Es war klar, dass ich
als Countertenor mehr erreichen kann. Eher als eine Umschulung ist es so, dass Countertenöre in späteren Jahren
als Dirigenten arbeiten. Daran denke ich noch nicht.
Vergleicht man sich als
Countertenor mit Sängerinnen, die in derselben
Stimmlage singen?
Sabadus: Countertenöre genossen lange Zeit den Bonus
des Exotischen, der ist jetzt
weg. Man muss sich immer
mit weiblichen Mezzosopra-

mit Frauen beseizt werden —
als Hosenrollen.
Countertenöre gelten als
Nachfolger der Kastraten,
deren hohe Stıimmen in barocker Zeit Ergebnis chirurgischer Eingriffe waren.
Sabadus: Da haben sich
furchtbare Tragödien abgespielL. Nur wenige Kastraten
wurden Opernstars, viele
wurden an den Rand der
Gesellschaft gedrängt. Wer
Glück hatıe, kam im Klerus
unter. Das Faszinosum dieser
Stimme ist deren Spektrum,
das Gegensätze vereint: kindliche Unschuld und stimm-
Kch reife Intensität. Das Erbe
der Kastraten schwingt bei
uns heute noch mit.
Wie gehen Sie mit diesem
Erbe um?
Sabadus: Es ist wichtig, für
sich ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen und nicht
Trinbrettfahrer von jemand
anderem zu sein. Ein Countertenor sollte nicht künstlich
klingen oder schmerzverzerrt. Man sollte nicht zur Karikatur eines Kastraten werden, so als wäre man gerade
kastriert worden.

Das Gespräch führte
Markus Schramek

Lesen Sie zum Thema Festwochen
den Kopf des Tages auf Seite 2