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Jahr: 2022

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Der Standard

„Mehr Platz und Leben für den Inn“, Seite 22
27.7.2022

Foto: WWF / Elsaberh Sörz

Mehr Platz und Leben für den Inn

Der stark kanalisierte Alpenfluss soll mittels Renaturierung wieder mehr Raum bekommen.

alter Michaeler, Mitarbei-
}; / ter der Umweltschutzabteilung des Landes Ti-

rol, steht bei einer Exkursion in Völs
am Ufer des Inns und hält zwei Luftbilder in die Höhe. Auf dem einen
aus dem Jahr 2007 ist der Inn ein
schmaler Kanal. Auf dem anderen
aus dem Jahr 2009 ist er nahezu
doppelt so breit, das Ufer hat Ausbuchtungen und Schotterbänke. An
der Mündung von Völser Gießen
und Axamer Bach gibt es eine Insel.
Während Michaeler die Veränderungen aufzählt, ist im Hintergrund
ein hoher warnender Ruf zu hören:
ein Flussuferläufer, Zumindest ein
Paar dieser stark gefährdeten Vogelart hat die neue Schotterinsel bereits erobert und brütet dort.

Diese Veränderung des Inns ist
die Folge einer glücklichen Fügung:
Als der Innsbrucker Flughafen aus
Sicherheitsgründen mehr Platz vor
dem Rollfeld benötigte, wofür eine
Verlegung des Flusslaufes nötig war,
nützte die Wasserbauverwaltung
die Chance für eine Renaturierung.

Grenzüberschreitend

S

Die Renaturierung:
bei Völs zeigt, wie ein stark veränderter Fluss wieder zu einem

Das kommt der Tier- und Pflanzenwelt, aber auch dem Hochwasserschutz zugute.

Lebensraum für flusstypische Arten
werden kann. Doch viele Jahre gab
es am Inn nur Einzelmaßnahmen,
die nicht aufeinander abgestimmt
waren. Deshalb haben sich Naturschutzorganisationen wie der WWF
Österreich, die Universität Innsbruck sowie Behörden und Kraftwerksbetreiber aus der Schweiz,
Österreich und Deutschland zusammengetan und das Projekt Innsieme gegründet. Gefördert wird es
über das EU-Programm Interreg.

517 Kilometer langer Fluss

Gemeinsam haben die Projektverantwortlichen in den vergangenen drei Jahren Strategien für
einen lebendigeren Inn entwickelt.
Grundlage dafür bildet der Aktionsplan Artenschutz, der von
Leopold Füreder, Barbara Grüner
und Anna Schöpfer vom Institut
für Ökologie der Universität Innsbruck im Zeitraum von zwei Jahren erarbeitet wurde. Von der
Quelle am Lunghinsee im Engadin
bis zur Mündung in die Donau in
Passau wurde dafür der Ist-Zustand des Inns erhoben.

Auf seiner 517 Kilometer langen
Strecke verändert der mächtige
Alpenfluss vielfach seine Gestalt.

Sonja Bettel

Das Forschungsteam hat sechs morphologische Abschnitte definiert
und jeweils eine passende Referenz
für den Naturzustand gesucht. Für
jeden Flussabschnitt wurde unter
anderem festgelegt, welche Lebensräume sich einst für Fauna und Flora boten. „Das sind oft sehr lange
Strecken, und man muss zahlreiche
Abschnitte intensiv untersuchen“,
erklärt Füreder.

Hilfe aus dem Archiv

„Hilfreich ist aber, dass wir historische Befunde haben.“ Denn Landschaftsmalereien, Aufzeichnungen
und detaillierte Karten aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zeigen, wie
die Flusslandschaft ausgesehen hat,
bevor im 19. Jahrhundert große Eingriffe zur Gewinnung von Land, für
Siedlungen, Straßen und Schienen,
die Stromgewinnung und zur Hochwasserregulierung erfolgten. Davor
beanspruchte der Inn teilweise das
ganze Tal, bildete Mäander und
Nebenarme, Auen, Schotterbänke,
strukturierte Ufer und Inseln und
Jagerte mitgeführtes Gestein bei jedem Hochwasser um.

Basierend auf dem ursprünglichen Naturzustand des Inns wurden ein visionäres Leitbild definiert

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und Leitarten festgelegt. Dazu zählen Bachforelle, Äsche, Flussuferläufer, Eisvogel, Kiesbank-Grashüpfer, Deutsche Tamariske und etwa
Zwerg-Rohrkolben.

Klar ist, dass der Urzustand nicht
wiederherstellbar ist, weil das Inntal zu intensiv genutzt wird. So sind
nur mehr 13 Prozent der ursprünglichen Auwaldfläche vorhanden,
24 Wasserkraftwerke bilden teils
unüberwindbare Barrieren. An den
befestigten Ufern gibt es kaum bis
keinen Lebensraum für Fische, Insekten oder Vögel. Rasche Wasserstandsschwankungen, verursacht
durch den Abfluss von Speicherkraftwerken, töten Fischlarven und
Jungfische. Vor allem die Inn-Äsche
sei dadurch stark gefährdet, sagt
Füreder, An zahlreichen Stellen des
Inns sind trotz aller Schwierigkeiten
aber dennoch Verbesserungen möglich: Im Aktionsplan für den Inn
wurden 259 Maßnahmen identifiziert, von denen ein Drittel bereits
umgesetzt wurde,

Wichtige Maßnahmen

Um die Renaturierung des Inns

voranzutreiben, werden einige es-

senzielle Maßnahmen empfohlen.
So sollen wichtige Referenzstrecken

besonders geschützt werden, wie
etwa die 150 Kilometer lange freie
Fließstrecke zwischen Imst und
Kirchbichl in Tirol. Großflächige
Aufweitungen mit naturnahen
Uferstrukturen und Inseln sollen
dem Fluss mehr Platz geben, was
sich nicht nur positiv auf die Biodiversität auswirken, sondern auch
die zerstörerische Kraft von Hochwasserwellen abmildern soll. Bei
Kraftwerken kann die Durchgängigkeit durch großzügige Umgehungsgerinne wiederhergestellt werden.
Darüber hinaus sollen Seitenbäche
und Zubringer revitalisiert, Feuchtwiesen und Moore erhalten und
nicht zuletzt die Bewusstseinsbildung für eine naturnahe Umwelt gefördert werden.

Die Unterstützung der Bevölkerung ist den Verantwortlichen zufolge gegeben: 93 Prozent der Befragten aus allen drei Ländern wünschen laut einer Umfrage im Rahmen des Projekts, dass der Inn besser geschützt werden soll. Das Projekt Innsieme endet mit Juni 2022,
die Zusammenarbeit der drei Länder und der verschiedenen Institutionen und Interessenvertreter soll
darüber hinaus jedoch weitergehen.
A www.innsieme.org