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Jahr: 2022
/ Ausgabe: 2022_07_11_Presse_OCR
- S.10
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Kronenzeitung
„Kein roter Fahnenstoff mehr in Innsbruck zu finden“, Seite 16
Kein roter Fahnenstoff
mehr in Innsbruck zu finden
Der Führer Adolf Hitler besucht Tirol und das Volk stimmt über den „Anschluss“ ab. Wie
war die Stimmung im April 1938? 10.000 Bücher und eine Ausstellung liefern Antworten.
istoriker und
H Ausstellungs-
macher Niko
Hofinger steht in der
Stadtbibliothek Innsbruck und zeigt auf
Skizzen, Kalkulationen, Aufzählungen —
angefertigt im Frühling 1938. Adolf Hitler hatte sich für einen
Besuch in Tirol angekündigt, wenige Tage
vor der Volksabstimmung über den „Anschluss“. Penibelst
wurden die Bürger darin angeleitet, dem
Führer zu huldigen.
Ein Meer aus Hakenkreuzfahnen breitete
sich über die Stadt.
„Nichts sollte dem
Zufall überlassen bleiben“, verweist Hofinger auf eine Propaganda-Maschinerie in
Vollbetrieb. Nur
punktuell war es dem
einen oder anderen
dann wohl doch zu
pompös. „Hakenkreuz kleiner“, steht unter
einer Zeichnung vermerkt,
die das Beflaggen des alten
Flughafens zeigt. Sonst galt:
mehr ist mehr. Quellen belegen, dass wegen des Eifers
der Gastgeber sogar alle roten Stoffe ausverkauft waren. Hofinger: „Die Inszenierung glich jener für eine
Theatervorstellung.“
Die kompakte und sehenswerte Ausstellung in der
Innsbrucker Stadtbibliothek
gibt Einblick in jene Tage
Anfang April 1938, in denen
das Schicksal ÖOÖsterreichs
besiegelt wurde. Sie lässt die
bedrückende Atmosphäre
jener Zeit spüren, in der alles andere als ein strammes
„Ja“ zum deutschen Reich
nicht vorgesehen war. „Ich
würde es nicht wagen, anders zu wählen als für den
Hitler. Also ist nunmehr das
Wahlresultat gesichert“,
schrieb eine Innsbruckerin
an ihren Vater. 98 Prozent
wurden es. Die meisten
stimmten aus Überzeugung
dafür. Ganz wenige hatten
den Mut zum Widerspruch.
So wie Hans Windischer,
Vater des für seine engagierten Sozialprojekte bekannten Theologen Jussuf Windischer. Das „Nein“ kostete
den Vater die Lehrbefugnis
Ausstellungskurator Niko Hofinger zeigt, wie sich dié Stadt herausputzte.
an der Universität. „Wer
nicht offen abstimmte, war
schon höchst verdächtig“,
beschreibt Hofinger die damalige Stimmung.
Roman „Die Gegenstimme“
Anlass für Ausstellung
Und dennoch gab_es sie:
Gegenstimmen! WVÜbertönt
vom Chor aus Jasagern, die
sich zur bedrohlichen Masse
formierten. In seinem Debütroman „Die Gegenstimme“ beschreibt Thomas
Arzt diese Spannung. Eine
beklemmende und eindrückliche Erzählung über die
eruptive Kraft einer schon
lange schwelenden, zerstörerischen Ideologie. 10.000
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Stück des Romans
werden seit Anfang
Juli im Rahmen der
Aktion „Innsbruck
liest“ gratis verteilt.
„Wir haben noch einige Exemplare — aber
nicht mehr viele“,
freut sich Stadtbibliothek-Leiterin Christina Krenmayr über das
große Interesse. Was
sie ebenfalls freut:
„Erstmals können wir
mit Unterstützung des
Audioversums auch
ein Hörbuch anbieten
und mit der Ausstellung des Stadtarchivs
historische Hintergründe liefern.“
Wahlurnen und
-kabinen von heute
Die Ausstellung ist die
ideale Ergänzung zum
Buch. Als Rahmen
dienen aktuelle Wahlkabinen, -urnen und
Plakatständer. Utensilien, die bei der
Landtagswahl im September wieder zum Einsatz
kommen und an Wert und
Notwendigkeit einer lebendigen Demokratie erinnern.
Mander, s’isch Zeit! „Der
Hofer-Spruch geht immer“,
konstatiert Hofinger und
zeigt auf Plakate aus dem
38er Jahr, ebenfalls zu sehen
in der Ausstellung. Ein
Wahlspruch, der auch nach
dem Krieg nicht aus der Mode kam. Claudia Thurner
Innsbruck liest: Alle Infos zum
Buch „Die Gegenstimme" und der
Hörbuch-Download unter
stadtbibliothek.innsbruck.gv.at
Die Ausstellung in der
Stadtbibliothek ist bis 13. August
zu sehen (zu den Öffnungszeiten).