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Tiroler Tageszeitung

TirolersTageszeitung

„Endstation Sehnsucht“, Seite 12

14.2.2022

Endstation

Sehnsucht

Großartige Premiere von Richard Strauss’ „Salome“ am Tiroler Landestheater. Rollendebütantin

Jacquelyn Wagner als „woman in love“, die um ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpft.

Von Markus Schramek

Innsbruck - Unter etwas weniger verheerenden Umständen wären sie vielleicht sogar
Lovers: Prinzessin Salome
und Jochanaan, besser bekannt, mit Verweis auf seine
hauptamtliche Tätigkeit, als
Johannes der Täufer. Doch
beider Begegnung steht unter denkbar schlechten Auspizien. Salome muss sich
mit einem familiären Umfeld
herumschlagen, das in Sachen Skrupellosigkeit jeder
Beschreibung spottet. Stiefvater Herodes stellt ihr nach
und missbraucht sie - vor den
Augen von Salomes leiblicher
Mutter Herodias. Jochanaan
dagegen ist Visionär und Prophet und als solcher nichts
weniger als der Vorankünder
des Messias himself. Ein solches Paar hat keine Chance.
Und doch! In der Neuinszenierung von Richard Strauss’
epochalem Musikdrama „Salome“ am Tiroler Landestheater knistert und knastert es
gehörig zwischen Salome und
Jochanaan, den der angsterfüllte Tunichtgut Herodes im
hauseigenen Kerker gefangen
hält. Der Prophet schimpft
und zetert und stößt Verwünschungen aus. Dennoch besingt Salome den Wütenden
mit ergreifenden Liebesbeschwörungen in den schillerndsten Farben. Der fromme Mann hält inne, greift gar
nach ihrer Hand, ehe er zur
nächsten Suada gegen das
Herodes-Gsindl ausholt.
Spätestens jetzt ist es aber
höchst an der Zeit, das Setzkasten-Vokabular mit der
Aufschrift „Außergewöhnlich!“ anzuwenden. Die Premiere von „Salome“ vorgestern Samstag glückt nämlich
phänomenal. Hier greifen

Ein Liebespaar vielleicht im nächsten Leben. Salome (Jacquelyn Wagner) und Jochanaan (Jochen Kupfer).

viele Rädchen auf das Stimmigste ineinander.

Sopranistin Jacquelyn Wagner steht, no-na, als erstmalige Trägerin der Titelpartie
verdient im Mittelpunkt. Vom
lyrischen Fach kommend, hat
sie lange überlegt, ob sie sich
die dramatische Salome denn
antun soll. Welch ein Glück,
dass sie es gewagt hat! Die
US-Amerikanerin ist eine Erscheinung: sinnlich und ausdrucksstark bis in die höchsten stimmlichen Etagen,
lustvoll und leidenschaftlich
auch ihr Schauspiel.

Im Cinderella-Look mit
Glitzertop, eingetaucht
in zuckerlsüßes rosarotes
Scheinwerferlicht, sollte eine Prinzessin wie Salome per
definitionem ein vie en rose
führen. Doch ihre Lebensrealität ähnelt jener einer Gefangenen im güldenen Käfig:
nicht im Verlies wie Jochanaan, doch um nichts weniger unfrei., Mucksmäuschenstill wird es im Großen Haus,
wenn Wagner Salomes trauriges Dasein in beklemmend
schönen Gesang verpackt.

Das soll aber nicht die Leis-

tung der KollegInnenschaft
schmälern, denn gesungen
wird bei der Premiere durchwegs überzeugend. Von Jochen Kupfer etwa, der als
Jochanaan mit seinem raumgreifenden Bassbariton für
Gänsehaut sorgt, von Florian
Stern in der Rolle von Salomes stiefväterlichem Häscher
Herodes oder von Mezzosopranistin Ursula Hesse von
den Steinen. Sie springt für
die erkrankte Susanna von
der Burg ein, als Salomes gefühlskalte Mutter Herodias.
Kammersängerin Angela

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Foto: TLI/Bingt Gußler

Denoke trat viele Male selbst
als Salome auf. In Innsbruck
obliegt ihr die Regie. Und sie
sprüht vor geistreichen Ideen. Die junge Salome huscht
wie der Schatten ihrer gestohlenen Kindheit in Person
eines wortlosen, omnipräsenten Mädchens über die
Bühne. Auf dieser ragt steil eine Wendeltreppe nach oben,
Ohne jede Fluchtmöglichkeit,
die Sackgasse eines Lebens
(Bühne und Kostüme: Timo
Dentler und Okarina Peter).
Den ominösen „Schleiertanz“ Salomes für den lüster-

nen Stiefvater inszeniert Denoke ziemlich explizit (und
plakativ) als Hetzjagd auf die
Tänzerin, die verfolgt wird
von geifernden Männern mit
offenem Hosenstall.

Als Lohn für diese entmenschlichte Erniedrigung
erhält Salome bekanntlich
den Kopf des gefangenen
Propheten. Nun ja, nicht ganz
so. Auch hier wartet die Regisseurin mit schlüssigen Einfällen auf, die beider, Salomes
und Jochanaans, Sehnsucht
nach einem selbstbestimmten Leben auch im Anblick
des Todes berührend zum
Ausdruck bringen.

Im Orchestergraben ist unter den Vorzeichen von Corona zu wenig Platz für alle.
So wird das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck aufgeteilt. Blechbläser und Schlagwerker musizieren in einem
Nebensaal und werden live
ins Große Haus zugeschaltet.
Das funktioniert reibungslos.

Dirigent Lukas Beikircher
drückt anfangs zu sehr auf
die Lautstärke, was auch Salome Wagner zu schaffen
macht. Beikircher korrigiert
aber rasch, geht vom Gas und
geleitet Orchester und SängerInnen mustergültig durch
einen hochansteckenden, intensiv musikalischen Abend.

Nach zwei mitreißenden
Stunden wird das Ensemble
viele Verbeugungen lang gefeiert. Der Vorhang geht bei
Saallicht noch einmal auf,
weil etliche Premierengäste unverdrossen weiterklatschen. Es ist eine der stärksten Opernproduktionen, die
Innsbruck in den letzten Jahren gesehen hat.

Salome. Nächster Termin: 19.2.
www.landestheater.at